2.2 Übergang und Segen

Hängebrücke

 

Das Wort „Kasualie“ leitet sich vom lateinischen Wort „casus“ = „Fall“ ab. Tatsächlich begegnen Menschen bei diesen Anlässen der „Kirche von Fall zu Fall“ (Fechtner 2003). Manchmal werden darum auch die Christvesper am Heiligen Abend oder der Zeltgottesdienst auf dem Dorffest zu Kasualien erklärt. Dieses Papier beschränkt den Begriff allerdings bewusst auf solche Feiern, die mit einer bedeutsamen Veränderung im Leben einer Einzelperson oder einer Gruppe verbunden sind. Nicht immer sind diese Feiern auf den ersten Blick als Übergangsritual erkennbar. Manchmal lebt ein Brautpaar schon jahrelang zusammen, ist der Täufling bereits mehrere Jahre alt oder der Verwandte, dessen Asche bestattet werden soll, schon Wochen zuvor verstorben. Konfirmand:innen stecken meist mitten in der Pubertät und gelten nach ihrer Konfirmation noch lange nicht als Volljährige. Dennoch ist es Menschen offensichtlich wichtig, den mit diesen Übergängen verbundenen Statuswechsel (von der Kinderlosigkeit zur Elternschaft, vom Jugendlichen zum Erwachsenen, vom Single-Dasein zum Leben als Paar, vom Verheiratet- zum Verwitwet-Sein …) öffentlich zu begehen und symbolisch zu feiern, selbst wenn dieser bereits geraume Zeit zurückliegt oder noch in vollem Gange ist.

Kasualfeiern leben von einer Reihe traditioneller, vertrauter und meist sehr alter Zeichen und Riten (Ringwechsel, Handreichung, Übergießen, Kreuzzeichen, Handauflegung, Salbung, Entzünden einer Kerze, Erdwurf …). Diese haben die Jahrhunderte überdauert, weil sie dank ihrer Elementarität aus sich heraus wirken. Dennoch lohnt es sich, sie zu passender Gelegenheit und auf angemessene Weise zu deuten und zu erläutern, ohne sie – zumal während der Feier selbst – mit Erklärungen zu überfrachten.

Theologisch ist eine Kasualie im Kern eine Segenshandlung. Die versammelte Gemeinde (bzw. stellvertretend für sie Liturg:innen, Mitwirkende, Chorsänger:innen …) erbittet den Segen Gottes für die im Mittelpunkt stehenden Personen. Die Segenshandlung beschränkt sich dabei nicht auf dezidierte Segenszusprüche – die ganze Feier versteht sich als Segensfeier. In Worten, Zeichen und Gesten erfahren Menschen, dass sie mit ihrer persönlichen Geschichte, ihren Stärken und Schwächen, ihrer Freude und Trauer, schließlich auch mit ihrer Schuld vor Gott ein Ansehen haben. Zusammen mit der versammelten Gemeinde betreten sie einen „Segensraum“ (Wagner-Rau 2000), der in der Kasualfeier lebendig und plastisch erlebbar wird. Mit dem Geschenk des Segens geht die Berufung und die Befähigung einher, selbst zum Segen für Andere zu werden (vgl. 1. Mose 12,2b).

 

[Inhalt]
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