„Weil Du bist …“ – was mich hoffen lässt

Theologische Impulse (82) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

Hoffnung:
Im Reigen von Glaube und Liebe steht sie oft unerkannt in der Mitte. Sie wirkt in der Nacht, / aber ihr Wesen ist Licht.
Sie sieht nicht, / aber sie ist nicht blind.
Sie gibt die Kraft, zu warten, auszuharren, durchzuhalten,
Die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie sind.
Man sagt, sie stirbt zuletzt.
Doch sie erhält uns am Leben.
Bis ans Ende.
Und auch darüber hinaus.

Die große Frage:
Was gibt uns Hoffnung? – Das ist eine der Schlüsselfragen unserer Zeit.
Der Impfstoff – eine bessere Strategie – der Frühling – Gott – oder gar nichts?

Was gibt mir persönlich Hoffnung – nach einem Jahr Pandemie?
Ein Jahr mit immer neuen Wellen und Mutationen.
Ich kann das Wort Corona oft nicht mehr hören.
Die Statistiken von Toten, Infektionen, Inzidenzen bin ich leid.
Ich sehne mich danach, Hände zu schütteln, Münder zu sehen, andere einfach in den Arm zu nehmen. Ein Jahr „Beziehungs-Fasten“ hat viele von uns erschöpft. Mich auch.

Was gibt mir Hoffnung – jetzt und für die Zeit danach?
Was ich erhoffe, weiß ich. So wie wohl die meisten unter uns.
Dass das alles irgendwann einmal ein Ende hat.
Dass sich durch die gemeinsam durchlebte Pandemie etwas zum Guten verändert.
Dass wir die Schulden fair verteilen und uns dauerhaft ökologisch verhalten.
Dass wir sorgsam, solidarisch miteinander umgehen.
Mit den Menschen, die uns nahestehen. Und mit denen, die noch stärker als wir von allem betroffen sind. Hier in Europa wie weltweit.
Doch was ist der Grund dafür, zu hoffen, dass das wirklich geschieht?

Für mich ist Gott der Grund, warum ich dies alles hoffe.
Nun, das klingt aus dem Mund eines Pfarrers nicht wirklich überraschend.
Noch dazu bei einer Einführungspredigt als Präses.
Doch ich glaube tatsächlich, dass Gott der eigentliche Grund ist, warum die Pandemie, unsere Welt, wir selbst nicht so bleiben werden, wie wir sind.

Darin unterscheidet sich die Hoffnung im christlichen Sinn von Optimismus.
Der Optimismus sagt: „Es wird schon wieder. Du musst nur positiv denken.“
Das wird oft lebenspraktisch begründet.
Es helfe einfach, sich auf das Gute zu konzentrieren.
Auf die Hälfte des Glases, in der noch Wasser ist.
Das Problem ist nur, wenn sich die andere Hälfte nicht mehr ausblenden lässt.
Dann wird der Optimismus naiv.

Christliche Hoffnung dagegen meint etwas Anderes. Sie sagt:
„Es wird anders werden. Weil Gott ist. Und im Glauben bist du selbst schon Teil davon.“
Die Hoffnung ist viel radikaler als der Optimismus. Sie kümmert sich gar nicht darum, ob überhaupt Wasser im Glas ist. Die Welt kann und darf und wird nicht so bleiben, wie sie ist. Weil Gott dem entgegensteht. Und das verändert Menschen, die daran glauben. Es schafft einen neuen Blick auf die Wirklichkeit.

Hoffnung.
Das Wort stammt von „hopen“, ist also verwandt mit „hopsen“, „hüpfen“.
Hoffnung ist das, was uns wie Kinder vor lauter Vorfreude hopsen lässt.
Weil wir glauben, dass es eben mehr gibt als das, was es gibt, was wir sehen.
Hoffnung ist das, was uns wie Vögel mitten in der Nacht anfangen lässt, zu singen.
Auch wenn alles um uns noch dunkel ist.
Das macht die Hoffnung so stark. Und zugleich so schwierig.
Weil sie mitunter allem, was wir sehen, widerspricht.

Die Geschichte eines Kampfes
Die Bibel ist ein großes Buch einer solchen „Hoffnung auf Gott“.
Die Geschichte des Volkes Israel beginnt damit, dass das alte Ehepaar Abraham und Sara – beide über 70 Jahre, ohne Kinder – aufbricht in ein Land, das einmal ihre Nachkommen besitzen sollen. Allein, weil Gott es ihnen verheißen hat.
„Abraham glaubte auf Hoffnung, wo es nichts zu hoffen gab.“ (Röm 4,18)
In einem weiten Bogen von über eintausend Jahren werden dann die Hoffnungs-Geschichten ihrer Nachkommen erzählt. Die Geschichten des jüdischen Volkes, an denen auch wir als Christinnen und Christen Anteil haben.
Sie handeln von Menschen, die sich mit der Welt, wie sie ist, nicht abfinden.
Weil sie Gott glauben. Sich auf ihn verlassen – allem Augenschein zum Trotz.
Mal singend und hüpfend. Mal klagend und zweifelnd.

Eine der für mich eindrücklichsten Gestalten in diesen vielen Hoffnungs-Geschichten ist Hiob.

Er kämpft bis aufs Letzte mit Gott – um die Hoffnung auf Gott.
Hiob erlebt seine ganz persönliche Pandemie.
Reich an Gütern, gesegnet mit vielen Kindern, gesund an Leib und Gliedern –
wird ihm das alles von einem Tag auf den anderen genommen. Und Gott lässt es zu.
Seine Kinder sterben, seine Herden werden geraubt, seine Knechte ermordet, er selber mit Krankheit geschlagen.
So schlimm, dass seine Freunde ihn nicht erkennen, als sie ihn besuchen.
Sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie mit ihm, dem Aussätzigen, in der Asche und sagen kein einziges Wort.
„Weil sie sahen, dass sein Schmerz groß war.“ Weil es nichts mehr zu sagen gibt.
Erst dann beginnt Hiob selbst zu sprechen.
Und die Freunde antworten ihm. Lebensweise. Theologisch reflektiert.
Mit vielen klugen Hinweisen, wie er sein Leid verstehen und mit ihm umgehen kann.
Doch Hiob hört nicht auf sie. So wenig wie auf seine Frau, die ihm rät, seinen Glauben doch endlich aufzugeben, um in Ruhe zu sterben.
Sie alle begreifen nicht, worum es eigentlich geht.
Sie meinen, Hiob ginge es um Gerechtigkeit: „Wie kannst Du, Gott, es nur zulassen, dass ich, Hiob, so leiden muss, obwohl ich keine Schuld begangen habe?“
Und ja: Hiob ruft Gott als Richter gegen Gott an, um ihn zu verklagen.
Doch Hiob geht es um mehr als um Gerechtigkeit. Es geht ihm um Hoffnung.
Er hält Gott vor, dass er, der Grund all seines Hoffens, zum Abgrund geworden ist. Gott selbst ist es, der seine Hoffnung zerstört: „Du hast meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum. […] Du machst sie zunichte, wie Wasser die Erde wegschwemmt.“
Das ist die abgründige Tiefe seines Leidens, die seine Freunde nicht begreifen.
Deswegen verflucht Hiob den Tag seiner Geburt. Und will er die ganze Schöpfung rückgängig machen.
Weil er an einer Hoffnungslosigkeit leidet, die von Gott gemacht ist.

Doch Hiob lässt Gott so nicht davonkommen.
Er hält gegen Gott an Gott als Grund seiner Hoffnung fest.
Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.
Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen.“
Das ist der tiefste Grund seines Glaubens, seiner Hoffnung.
Gott kann und wird das Leiden nicht so lassen – weil er dann nicht mehr Gott wäre.
Weil Gott in sich selbst Hoffnung ist.
Gott kann ihn, Hiob, nicht aufgeben, weil er sich selbst nicht aufgeben kann.

Hiob weiß nicht, wie dies geschieht: „Auch ohne mein Fleisch werde ich Gott sehen“.
Und er wird von Gott auch keine Antwort darauf bekommen, warum er das alles erleiden musste. Die Frage nach der „Gerechtigkeit Gottes“ bleibt offen.
Doch Gott wird ihm Recht geben – im Streit mit seinen Freunden und gegenüber sich selbst: „Du allein hast Recht von mir geredet.“
Gott wird ihn heilen, segnen und neu beschenken.
Und Hiob wird wieder Hoffnung haben. Weil Gott bei ihm ist.

Was mir Hoffnung gibt, ist, dass Gott selbst unsere Hoffnung ist.
Auch wir werden – wie Hiob – keine letzte Antwort bekommen.
Nicht auf Corona. Und nicht darauf, wieso Menschen oft so Schlimmes leiden müssen.
Und auch wir wissen nicht, wie es geschehen wird.
Aber wir können – wie Hiob – Gott nicht aus der Verantwortung lassen.
Weil Gott selbst unsere Hoffnung ist.
Deshalb wird das Leiden nicht das letzte Wort haben.
Deshalb leben wir trotzig und getrost.
Bis auch wir einmal wieder singen, hopsen und einander in den Armen liegen werden.

Zum Schluss: ein Lied

Weil Du bist

Weil Du bist, Gott,
wird die Welt nicht bleiben, wie sie war,
werden wir nicht bleiben, wer wir sind.

Weil Du bist, Gott,
wird das Leiden einmal nicht mehr sein,
Keine Krankheit, kein Weinen und kein Schmerz.

Weil Du bist, Gott,
wird Dein Frieden kommen unter uns.
wenn wir Löwen bei Lämmern grasen sehen.

Weil Du bist, Gott,
wird die Liebe am Ende neu erblühen,
statt des Felsens ein Engel vor uns stehen.

Weil Du bist, Gott,
leben wir voll Hoffnung Tag für Tag.
Trotzig singend, oft zagend, doch getrost. (TL)


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  • 20.3.2021