Mich erreichen aktuell Anfragen wie: „Ist die Überschwemmung nicht ein Gerichtshandeln Gottes, mit dem er uns zur Umkehr rufen will?“ Um klar zu antworten: Nein! Ich halte solche Deutungen für theologisch schief, logisch kurzschlüssig und hochproblematisch. Oft verbinden sich solche Interpretationen mit bestimmten Werturteilungen, worin die „Unmoral“ unserer Gesellschaft im Allgemeinen oder der Kirche im Besonderen bestehe.
Nein, wir können als Menschen Gott nicht in die Karten schauen. Biblisch gesprochen: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ (Jes 55,8f.) Auch in den Evangelien wendet sich Jesus gegen solche vereinfachenden religiösen Geschichtsdeutungen – sei es bei der Deutung des damaligen Unglücks beim Turm von Siloah (Luk 13,1-5) oder bei der Interpretation der Heilung eines Blindgeboren (Joh 9,1ff.). Jedes Mal widerspricht er der religiösen Vereinnahmung fremden Leidens zum Zwecke moralischer Selbstvergewisserung.
Auch im Blick auf die Vorstellung, wie Gott in der Geschichte handelt, halte ich die Deutung für theologisch abwegig. Gott ist kein Theater-Gott, der wie aus der Nebel-Maschine auftaucht, um hier oder dort mal richtig reinzuhauen und Tacheles zu reden (deus ex machina). Gerade die Sintflut-Geschichte (1. Mose 6-9) verabschiedet doch eine solche Vorstellung – weil, so die Geschichte, „das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse von Jugend an“ ist (1. Mose 6,5; 8,21). Und wo sollten wir dann anfangen und aufhören bei den „Plagen“ der Menschheit: Jede Seuche (Corona, Schweinegrippe, Ebola, Aids, …), jedes Unwetter (Taifun, Hurrikan, Zyklon …) oder Dürre, jeder Gebäudeeinsturz, Flugzeugabsturz, Terroranschlag, … eine Botschaft Gottes? Und wenn schönes Wetter ist, ist Gott zufrieden oder nur geduldig? Nein. Das ist nicht das Gottesbild des Evangeliums. Gott „lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Matt 5,45) Allen Freund-/innen apokalyptisch-theologischer Geschichtsdeutungen sei das Jona-Büchlein zur Lektüre herzlich anempfohlen: Gottes herzliche Fürsorge für Mensch und Vieh ist eine Zumutung für alle Untergangspropheten.
Das heißt nicht, dass theologisch nichts zur Flut zu sagen wäre. Die Bibel bezeugt Gott als Schöpfer, der den Chaosmächten, den Ur-Fluten eine Grenze setzt, um so Leben von Menschen, Tieren, Pflanzen zu ermöglichen. Davon spricht der erste Schöpfungsbericht (1. Mose 1-2,4a), ebenso wie viele Psalmen, etwa Psalm 74,12-17: „Gott ist ja mein König von alters her, der alle Hilfe tut, die auf Erden geschieht. Du hast das Meer gespalten durch deine Kraft, zerschmettert die Köpfe der Drachen im Meer. Du hast dem Leviatan die Köpfe zerschlagen und ihn zum Fraß gegeben dem wilden Getier. Du hast Quellen und Bäche hervorbrechen lassen und ließest starke Ströme versiegen. Dein ist der Tag und dein ist die Nacht; du hast Gestirn und Sonne die Bahn gegeben. Du hast dem Land seine Grenze gesetzt; Sommer und Winter hast du gemacht.“ Gott ist ein schöpferischer Gott, der Raum für Leben schafft und die urzeitlichen Chaosmächte bekämpft, die dieses Leben gefährden. Wenn man die Unwetter theologisch interpretieren will, dann doch eher so: Sind wir Menschen mit unserer Konsum- und Lebensweise selbst zu einem Leviathan, einem urzeitlichen, mythologischen Ungeheuer geworden, das den Bestand des Lebensraumes von Menschen, Tieren, Pflanzen bedroht? Entfesseln wir mit unserer Lebensweise zerstörerische Kräfte, die Gott als Schöpfer gerade eingehegt hat? Auch hier formuliere ich bewusst mit Vorsicht. Einen „deus ex machina“ halte ich auch mit ökologischen Vorzeichen für verkürzt. Und auch mit politisch richtiger Nachhaltigkeitsperspektive kennen wir nicht den „Masterplan Gottes“. Wie Gott in der Geschichte handelt, bleibt uns letztlich verborgen. Wir wissen aber um die Liebe Gottes zu allen seinen Geschöpfen – eine kreative, kämpferische, mitleidende Liebe. Eine Liebe, die keine Chaosfluten schafft, sondern sie im Gegenteil verhindert. Sinnbild dessen ist für mich Christus als leidender Schöpfungsmittler am Kreuz. Heute beim Seelsorge-Gang durch Ehrang zum Verteilen von Kaffee, Brötchen und Keksen trafen wir auf eine Frau aus der Gemeinde. Sie hatte das Kruzifix ihrer katholischen Oma im überschwemmten Keller gefunden und sichtbar nach draußen auf eine rote Kiste gestellt. Der Gekreuzigte im Schlamm der Überschwemmung. Für mich ist Gott heute genau dort gewesen – mitten im Schlamm der Überschwemmung, auf der Seite der leidenden Menschen, wie seit Urzeiten im Kampf gegen die Chaosmächte.
Flut-Gebet
Gott, die Wasser haben mir auch die Worte weggespült.
Das Leid, das Menschen gerade geschieht, ist so unfassbar,
dass ich selbst beim Klagen nicht weiß, wo anzufangen.
Bei denen, die ertrunken sind? Bei den Vermissten?
Wir wissen selbst heute noch nicht einmal, wie viele.
Bei denen, die ihr Haus, ihr Geschäft, alle ihre Lebenserinnerungen verloren haben?
Mit der eigenen Wohnung haben viele zugleich ihre Heimat, ihr Vertrauen verloren.
Gott, Du weißt um die Not, für die uns die Sprache fehlt.
Um die vielen Tränen, die dennoch nicht reichen, und die ungeweinte Trauer.
Gott, schenk uns die Kraft jetzt für einander da zu sein.
Einander festzuhalten, wo unser Grund und Halt weggespült wurde.
Gott, gib uns Mut, wieder aufzustehen. Gegen Schlamm und Schutt.
Lass uns für einander Trösterinnen und Hoffnungsbringer sein.
Gott, hilf uns umzugehen mit dem, was wir nicht verstehen.
Und hilf uns so zu leben, dass sich solche Katastrophen nicht vermehren.
Sprich Du selbst Amen, wenn wir es nicht mehr können. (TL)
Theologische Impulse (98) von Dr. Thorsten Latzel, Präses
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Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher
Foto: Thorsten Latzel