„Turmdenken“ – und der andere Traum Gottes

Gott als Spielverderber?

In der Geschichte vom Turmbau zu Babel (1. Mose 11,1-9) kommt Gott nicht so wirklich gut rüber: Die Menschen arbeiten emsig, entwickeln neue Baustoffe, erbauen eine Stadt, einen Turm, das erste Weltkulturerbe. Und das alles mit hochsozialer Gesinnung: „denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde“. Und dann erscheint Gott und macht es kaputt. Nicht sehr nett. Das passt eher zu einem pubertierenden Jugendlichen, der im Sandkasten wütet, als zum souveränen Schöpfergott. Dazu die Begründung: „Dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.“ Das klingt nach neidischem, großem Bruder, der Angst hat, dass ihm die Felle wegschwimmen. Gott – ein eifersüchtiger Kultur-Vernichter?

Fragen an „Menschheitsträume“

Der Schlüssel zu der Geschichte liegt in der Ortsangabe „Babel“. Tatsächlich spiegelt sich hier die Gewalterfahrung der Israeliten damit, was es heißt, einen Weltenturm zu bauen. Nebudkadnezar II. als Herrscher des neubabylonischen Großreiches unterwarf im 6. Jahrhundert vor Christus Völker, deportierte Menschen, beutete sie aus. Der „Turm“ von Babel, inspiriert durch den über 90 Meter hohen Tempelturm des Marduk-Heiligtums, war Symbol einer grausamen, imperialen Herrschaft. Darin liegt die Pointe der Geschichte: Der große „Menschheitstraum“ ist in Wahrheit allzu oft der blutige Traum weniger Mächtiger auf Kosten vieler anderer. Der „Turmbau zu Babel“ handelt so von dem zweiten, dem „sozialen“ Sündenfall der Menschen. Dabei wird der Bruder nicht erschlagen („Wie grob, Kain, das geht doch eleganter!“), sondern die Geschwister werden ausgebeutet für die eigenen Träume. Das zeigt sich bis hin zu monumentalen Bauprojekten für Weltprojekte unserer Tage. Die Fußball-Stadien für die WM in Katar lassen grüßen. In Aufnahme von Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“:

Wer hat die Ziegel gebrannt und den Mörtel gerührt für den Turm von Babel? Wer war später dafür zuständig, ihn sauber zu halten? Von wem stammten Gold, Silber, Edelsteine, um ihn zu schmücken? Und waren dies dieselben, die sprachen: „Wohlauf, lasst uns einen Turm bauen …?“ Das „Brennen der Ziegel“ – es ist die Tätigkeit der unterdrückten Israeliten in Ägypten wie in Babylon (1. Mose 11; 2. Mose 5), Sinnbild der Knochenarbeit, für die auch in Deutschland meist Menschen aus anderen Ländern ranmüssen.

Wider das „Turmdenken“

Gott tritt nicht der kulturellen Selbstverwirklichung des Menschen entgegen, sondern einem imperialen „Turm-Denken“. Der Turm ist hier architektonischer Ausdruck einer gnadenlos geschichteten Gesellschaft: von den Eliten in den obersten Etagen bis zu den Reinigungskräften ganz unten – zumeist mit Menschen anderer Herkunft. Das ist die Verlogenheit des „Wirs“ in den senkrechten, „vertikalen“ Menschheitsträumen.

An Pfingsten setzt Gott dem seinen ganz anderen, horizontalen Traum entgegen. Einen Traum, an dem alle teilhaben: „Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, …“ (Apg 2,9). Oder in der Bild-Sprache der Propheten Israels: „Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen.“ (Joel 3,1f.) Dies haben Menschen in den Gemeinden seitdem immer wieder erfahren: Mächtige und Knechte nehmen gemeinsam Platz am Tisch Christi, dieses ganz anderen „Herrn“, der gleichsam selbst in einem Bauwagen zur Welt kam. Auch wenn das Handeln der Kirche oft dahinter zurückblieb: Der Geist Gottes ist „aus der Flasche“. Wir haben Teil an diesem Traum Gottes, dass jeder „unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen“ soll und niemand den anderen „schrecken“. (Micha 4,4)

 


Theologische Impulse (92) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

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  • 22.5.2021