1 Einleitung

 

Eltern freuen sich über die Geburt ihres Kindes. Jugendliche beginnen ihren Weg ins Erwachsenenleben. Zwei Menschen versprechen einander Liebe und Treue. Hinterbliebene trauern um einen Verstorbenen. Diese markanten Momente im Leben einer Familie, eines Freundeskreises oder eines Gemeinwesens sind seit alters her Anlass für rituelle Feiern, die Menschen über die Schwelle in eine neue Lebensphase begleiten. Über Jahrhunderte hatten die christlichen Kirchen nahezu ein Monopol für diese Feiern inne. Die Feier ihres Neugeborenen verbanden Eltern wie selbstverständlich mit der Taufe. Die Konfirmation markierte lange den Eintritt von Heranwachsenden ins Erwachsenenalter. Ihr „richtiges“ Ja-Wort gaben sich Ehepaare nicht im Standesamt, sondern erst vor dem sprichwörtlich gewordenen Traualtar. Und die Würdigung und Bestattung der Verstorbenen überließen Hinterbliebene getrost und dankbar der Pfarrerin oder dem Pfarrer.

In der Feier der Kasualien wird Menschen der Segen Gottes zuteil. Wer diesen Segen empfängt, wird zugleich ermutigt und befähigt, ein Segen für andere zu werden (vgl. 1 Mose 12,2). Tatsächlich bleiben viele Christ:innen gerade um dieser Segensfeiern willen ihrer Kirche treu. Kasualgottesdienste bringen dabei nicht nur Eltern, Konfirmand:innen, Brautpaare und Hinterbliebene, sondern auch ihre Familien, Freundes- und Bekanntenkreise in Kontakt zur Kirche. Über keine andere kirchliche Aktivität erreicht die Botschaft des Evangeliums so viele Menschen – dazu noch in Momenten, in denen diese besonders sensibel und berührbar sind. Zugleich nimmt der Konkurrenzdruck zu: Immer mehr Menschen – auch Kirchenmitglieder – entscheiden sich an Lebensübergängen für andere Dienstleister:innen (freiberufliche Trauerredner:innen, Ritualdesigner:innen …) oder verzichten ganz auf eine liturgische und seelsorgliche Begleitung.

Die Fachgruppe Gottesdienst und Kirchenmusik hat sich intensiv den Herausforderungen einer zeitgenössischen Kasualpraxis gewidmet. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertreter:innen des Innerkirchlichen Ausschusses, des Theologischen Ausschusses und der Fachgruppe hat daraufhin die Grundlage für dieses Diskussionspapier gelegt. Auch die Kirchenleitung hat in ihrem Positionspapier E.K.I.R. 2030 im Herbst 2021 für eine „servicefreundliche, qualitätsvolle und vielfältige Kasualpraxis“ plädiert. Der vorliegende Text will nun insbesondere die anstehenden Beratungen über das von der Landessynode 2024 zu beschließende neue Lebensordnungsgesetz unterfüttern.

Die nachfolgenden Überlegungen richten den Blick vor allem auf die Chancen, die die Kasualien für unsere Kirche mit ihrem Auftrag zu Verkündigung und Seelsorge darstellen.

  • Es ermuntert zum offenen Dialog über die Kasualien in Gemeinden, Presbyterien und Synoden.
  • Es stellt wesentliche Aspekte zusammen, die als Grundlage für dieses Gespräch dienen können.
  • Es wirbt für eine offene, von wohlwollendem Interesse getragene Begegnung mit denen, die eine Kasualie feiern möchten.
  • Es gibt Anregungen, wie Gemeinden und Kirchenkreise mit den Erwartungen von Kirchenmitgliedern umgehen können.

Der Text versteht sich als Gesprächsanregung. Um den Umgang mit ihm zu erleichtern, sind die einzelnen Kapitel bewusst knapp gehalten und in der Regel in sich abgeschlossen. Sie können so auch einzeln Ausgangspunkt für eine Diskussion in einem Ausschuss, bei einer Presbyteriumssitzung oder auf einer Synodaltagung sein. Weitere Anregungen dafür bietet Teil 4 „Methodik“. Jedes einzelne Kapitel dieser Digitalversion des Papiers kann unten auf der jeweiligen Seite kommentiert werden. Wer das eine oder andere Thema vertiefen möchte, findet dazu Hinweise in der abschließenden Literaturliste.

Das Papier nimmt Menschen jeden Geschlechts gleichermaßen in den Blick. Daher wird im Text grundsätzlich der Gender-Doppelpunkt („Pfarrer:innen“, „Kantor:innen“ etc.) verwendet. Verzichtet wird darauf nur, wenn Personen exemplarisch erwähnt werden („die Pfarrerin und der Küster“), sowie in feststehenden Begriffen („Patenamt“, „Konfirmandenarbeit“ etc.). Da in unserer Kirche Pfarrer:innen und Prädikant:innen als Ordinierte gleichermaßen mit der Durchführung von Kasualien betraut sind, werden diese häufig zusammenfassend als „Liturg:innen“ bezeichnet – auch wenn der kirchliche Dienst bei Kasualien selbstverständlich nicht nur die liturgische Feier, sondern insbesondere auch die seelsorgliche Begleitung umfasst.

 

[Inhalt]
< Vorwort 2 Herausforderungen >

 

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