Staatskirchenrecht bzw. Religionsverfassungsrecht

Staatskirchenrecht bzw. Religionsverfassungsrecht bezeichnet das Recht, das das Verhältnis zwischen Staat und Kirche regelt. Dieses sind die Staatskirchenverträge, die die Zusammenarbeit von Staat und Kirche regeln.

A. Rechtsquellen

1. Das Staatskirchenrecht als Teil des öffentlichen Rechts umfasst die Gesamtheit der Rechtsnormen, die das Verhältnis von Staat und Kirche regeln. Umfassender formuliert geht es um jenen Teil des staatlichen Rechts, der sich mit allen Regelungen die Religion betreffend und neben den Kirchen auch mit allen anderen Religionsgemeinschaften befasst.
Dadurch ist die Bezeichnung dieses Rechtsgebietes zurzeit im Umbruch begriffen. Im 20. Jahrhundert wurde in Deutschland fast nur der Ausdruck „Staatskirchenrecht“ verwendet. Inzwischen wird stattdessen zunehmend von „Religionsverfassungsrecht“ (Deutschland) oder „Religionsrecht“ (Österreich) gesprochen.

2. Die wesentlichen Grundlagen der Beziehung von Staat und Kirche sind im Grundgesetz (GG) in den Artikeln 3 Abs. 3, 4, 7, 33 Abs. 3, 140 und 141 geregelt.
Durch Art 140 GG werden die sog. Weimarer Kirchenartikel , dies sind die Art. 136 bis 139 und 141 Weimarer Reichsverfassung (WRV), zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt. Diese Artikel enthalten u. a. das Verbot der Staatskirche, Regelungen zur Konkretisierung der Religionsfreiheit, zur Stellung der Religionsgemeinschaften und zu Vermögensfragen.

3. Darüber hinaus werden wesentliche Fragen des Staatskirchenrechtes in Verträgen zwischen Kirche und Staat geregelt.
Von wesentlicher Bedeutung für die Evangelische Kirche im Rheinland ist der Vertrag der Evangelischen Landeskirchen mit dem Freistaat Preußen vom 11. Mai 1931 (Preußischer Kirchenvertrag). Darin wird u. a. das Rechtsetzungsverfahren der Kirchen, das Verfahren zur Besetzung kirchlicher Ämter und deren Dotation sowie der Fortbestand bestimmter evangelisch-theologischer Fakultäten geregelt.

4. Zudem regeln Gesetze der Bundesländer das Verhältnis von Kirche und Staat.
Wesentliche Regelungsbereiche sind das Kirchensteuerrecht, das Kirchenaustrittsrecht, das Schulrecht und das Friedhofsrecht.

B. Grundmerkmale

1. Für das Staatskirchenrecht von grundlegender Bedeutung ist die Gewährung der Religionsfreiheit und der ungestörten Religionsausübung durch Art. 4 GG. Diese Grundrechtsnorm beinhaltet das Recht eines jeden Menschen, eine Religion oder Weltanschauung zu haben, sie auszuüben und für sie zu werben, ebenso wie das Recht, die Religion zu wechseln oder keiner Religion anzugehören.
Negative Religionsfreiheit ist das Recht auf Freiheit von Religion, d.h. das Recht eines Menschen, keiner Religion bzw. nicht einer bestimmten Religion anzugehören und auch nicht zur Teilnahme an religiösen Handlungen genötigt zu werden.
Positive Religionsfreiheit ist das Recht auf Freiheit zur Religion , d.h. das Recht eines Menschen, eine Religionsgemeinschaft zu gründen, ihr anzugehören oder sie zu wechseln sowie öffentlich seine Religion auszuüben und für sie einzutreten.
Das Recht jedes einzelnen Menschen auf freie Religionsausübung wird als individuelle Religionsfreiheit bezeichnet.
Da die Menschen das Recht haben, ihre Religion gemeinschaftlich auszuüben, genießen daraus abgeleitet auch religiöse oder weltanschauliche Organisationen und Gemeinschaften Religionsfreiheit. Man spricht in diesem Zusammenhang von korporativer Religionsfreiheit.
Über den grundgesetzlichen Schutz hinaus findet die Religionsfreiheit auch Schutz als Menschenrecht in Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), Art. 9 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1950) und Art. 18 des Internationalen Paktes der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte (1966).
Religionsfreiheit ist also ein unveräußerlicher Rechtsanspruch der Menschen, der universal gilt und diskriminierungsfrei (vgl. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) zu gewährleisten ist. Daher kann die Religionsfreiheit nur dann Einschränkungen unterworfen werden, wenn sie mit Grund- oder Menschenrechten Dritter kollidiert oder andere vorrangige Rechtsgüter geschützt werden.

2. Ein weiteres Grundmerkmal des Staatskirchenrechtes ist die religiös-weltanschauliche Neutralität und Parität des Staates.
Die Neutralität ist vor allem eine Folge der Religionsfreiheit, denn ein Staat, der sich nicht neutral verhält, würde dadurch letztendlich die Religionsfreiheit verletzen. Eine staatliche Förderung von Religionsgemeinschaften (Zuschüsse, Steuerbefreiungen, Übermittlung von Meldedaten, Religionsunterricht etc.) steht der Neutralitätspflicht des Staates nicht entgegen.
Dabei unterliegt der Staat dem Paritätsgrundsatz, wonach er alle Religionsgemeinschaften einschließlich ihrer Mitglieder gleich zu behandeln hat.
Dies schließt eine Ungleichbehandlung aber nicht aus, die jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein muss (z. B. Sendezeiten für religiöse Sendungen der Kirchen und jüdischen Gemeinden).

3. Das Selbstbestimmungsrecht als weiteres Grundmerkmal ergibt sich aus Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, wonach jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet. Daraus folgt, dass die Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten ohne den Erlass entsprechender staatlicher Gesetze und ohne staatlich-aufsichtlichen Eingriff regeln.
Neben diesen rein kirchlichen Angelegenheiten gibt es aber auch gemeinsame Angelegenheiten, also solche, die sich nur durch ein Zusammenwirken von Staat und Kirche realisieren lassen (z.B. Militärseelsorge, Kirchensteuer, Religionsunterricht).

4. Religionsgemeinschaften können die allen Vereinigungen offenstehenden Rechtsformen (z.B. Stiftung, e. V.) annehmen.
Sie können aber auch gemäß Art. 137 Abs. 5 WRV Körperschaften des öffentlichen Rechts sein. Dadurch werden sie aber nicht in den staatlichen Bereich eingegliedert.
Zu den Rechtsfolgen dieser Rechtsform gehört vor allem die Dienstherrenfähigkeit, also die Befugnis, nach Art des staatlichen Beamtenrechts öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse (Kirchenbeamtenverhältnis) zu begründen. Darüber hinaus können Körperschaften des öffentlichen Rechts mit öffentlich-rechtlicher Wirkung Recht setzen (z. B. Kirchenmitgliedschaftsrecht, Dienstrecht) und öffentlich-rechtliche Untergliederungen (z. B. Landeskirche, Kirchenkreis, Kirchengemeinde; sog. Organisationsgewalt) schaffen.

C. Wichtige Themenfelder in Stichworten

1. Die Religionsgemeinschaften können die Frage, wie man in ihnen die Mitgliedschaft erwirbt, auf Grund ihres Selbstbestimmungsrechtes selbständig ordnen. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Erwerb der Mitgliedschaft, Personenstandswesen, Meldewesen und Datenschutz.

2. Das Recht auf Erhebung von Kirchensteuer gemäß Art. 137 Abs. 6 WRV ist eine bedeutsame Rechtsfolge des Körperschaftsstatus.
Das Kirchensteuersystem wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Säkularisation und wegen des wachsenden finanziellen Bedarfs der Kirchen (z. B. Bau neuer Kirchen) nach und nach in den einzelnen Ländern eingeführt.
Es sind echte Steuern im Sinne von § 3 Abs. 1 Abgabenordnung, die durch entsprechende Kirchensteuergesetze der Bundesländer auferlegt und notfalls im Wege des staatlichen Verwaltungszwangs beigetrieben werden. Das unterscheidet die Kirchensteuer von normalen Mitgliedsbeiträgen.
Die Kirchensteuer ist eine gemeinsame Angelegenheit von Kirche und Staat, d.h., die Erhebung von Kirchensteuern ist nur möglich, wenn diese beiden Institutionen in dieser Hinsicht zusammenwirken. Dies kommt u. a. zum Ausdruck, dass mit Ausnahme von Bayern die übrigen Kirchensteuergesetze der Bundesländer die Einzelheiten des Kirchensteuer-wesens den Kirchensteuerordnungen und –beschlüssen der Religionsgemeinschaften überlassen.

3. Die Staatsleistungen (Art. 138 Abs. 1 WRV) an die Kirchen beruhen auf den Besonderheiten der Staat – Kirche – Beziehungen in der Zeit vor 1919. Es handelt sich dabei um Leistungen, die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhen und finanziell weitestgehend von den Bundesländern getragen werden.
Staatsleistungen sind Entschädigungen bzw. Ersatzleistungen des Staates an die Kirchen für Einkünfte, die sie durch Enteignungen kirchlicher Güter während der Reformationszeit, durch den Westfälischen Frieden oder den Reichsdeputationshauptschluss 1803 verloren haben.
Diese historisch begründeten Staatsleistungen sind durch Art 138 Abs. 1 WRV, der Bestandteil des Grundgesetzes ist, verfassungsrechtlich verbürgt. Staatskirchenverträge zwischen den Bundesländern und den Kirchen regeln die jeweilige Höhe.

4. Art. 7 GG beinhaltet in den Absätzen 2 und 3 die institutionelle Garantie des Religionsunter-richtes. Er ist eine gemeinsame Angelegenheit von Kirche und Staat. Der Staat stellt die Institution Schule zur Verfügung und die betreffenden Religionsgemeinschaften verantwor-ten die religiösen Inhalte.
Lehrerinnen und Lehrer müssen der betreffenden Konfession angehören und bedürfen einer Bevollmächtigung durch die Religionsgemeinschaft. Lehrpläne und Lehrbücher dürfen nur mit Zustimmung der Religionsgemeinschaft eingeführt werden.
Es nicht zulässig, gegen den Willen der Religionsgemeinschaften einen interkonfessionellen Religionsunterricht einzuführen.
Demgegenüber ist es jedoch zulässig, das Recht auf Einrichtung des Religionsunterrichtes von einer Mindestzahl von Teilnehmenden abhängig zu machen. Dabei muss allerdings die Möglichkeit bestehen, unter zumutbaren Voraussetzungen Schülerinnen und Schüler mehrerer Jahrgänge oder benachbarter Schulen zu einer Klasse zusammen zu fassen.

5. Kirchliche Privatschulen, durch deren Besuch die Schulpflicht erfüllt wird, werden als Ersatzschulen bezeichnet. Sie bedürfen der staatlichen Genehmigung und unterstehen der Gesetzgebung des jeweiligen Bundeslandes.
Auf die Genehmigung besteht ein Rechtsanspruch, wenn folgende Bedingungen (vgl. Art. 7 Abs. 4 GG) erfüllt sind: a) Gleichwertigkeit mit öffentlichen Schulen in den Lehrzielen und Einrichtungen sowie der wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrkräfte, b) keine Sonderungen der Schülerinnen und Schüler nach den Besitzverhältnissen, c) genügende Sicherung der wirtschaftlichen und rechtliche Stellung der Lehrkräfte.
Aus Art. 7 Abs. 4 GG wird nach der herrschenden Meinung eine Verpflichtung des Staates abgeleitet, Ersatzschulen finanziell zu fördern.
In Privatschulen entscheidet der jeweilige Träger über die religiöse Ausrichtung.

6. In Art 11 des Preußischen Kirchenvertrages wird das Recht auf evangelisch-theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten garantiert. Die Einrichtung bedarf der Zustimmung der Kirche. Der Staat ist verpflichtet, eine ausreichende Grundausstattung zur Verfügung zu stellen. Die Ernennung des Lehrpersonals setzt die Zustimmung der Kirche im Hinblick auf Bekenntnis und Lehre der oder des Betreffenden voraus.
Entsprechendes gilt für Institute und Lehrstühle an staatlichen Universitäten.
Daneben gibt es kirchliche Hochschulen, die an sich eine eigene Angelegenheit der Kirche sind. Sie kommen aber insoweit mit dem staatlichen Rechtsbereich in Berührung, als es um Fragen der staatlichen Anerkennung geht. Die wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Gleichwertigkeit mit staatlichen Hochschulen. Die Konkretisierung erfolgt durch die Hochschulgesetze der Bundesländer.
Anders als bei Privatschulen sind die Bundesländer nicht zu einer finanziellen Förderung verpflichtet.

  • Red.
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