So weit ist die rheinische Kirche mit der Aufarbeitung

  • Ekkehard Rüger
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Bereits seit 2002 gibt es in der rheinischen Kirche Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt. Seither sind die Bemühungen um eine systematische Präventionsarbeit immer weiter intensiviert worden. Aber ein vergleichbarer systematischer Blick in die eigene Vergangenheit, auf den früheren Umgang mit Missbrauchsfällen und die dabei begangenen Fehler und Versäumnisse ist bisher ausgeblieben: Auf dem Weg der Aufarbeitung steht die rheinische Kirche noch am Anfang. Auf drei Ebenen soll er jetzt mit Nachdruck verfolgt werden.

Zusammen mit den anderen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beteiligt sich die rheinische Kirche am Forschungsverbund ForuM. Dahinter steht eine Studie zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland, die in sechs Teilprojekte mit je unterschiedlicher Zielsetzung unterteilt ist. Es geht um die historische Perspektive, die bisherige Praxis der Aufarbeitung, die Perspektiven Betroffener, auch auf die kirchlichen Strukturen und ihre Nutzung durch die Täterinnen und Täter, sowie um Kennzahlen und Merkmale des institutionellen Umgangs mit sexualisierter Gewalt. Für die Teilprojekte C und D wurden Gemeinden und Kirchenkreise gebeten, Betroffene in öffentlichen Aufrufen dazu einzuladen, im Rahmen von Interviews von ihren Erfahrungen zu berichten. Erste Ergebnisse der Verbundstudie werden Ende 2023 erwartet.

Gemeinsame Kommission mit Westfalen, Lippe und Diakonie RWL

Die Verbundstudie ersetzt aber keine umfassende Aufarbeitung vor Ort. Daher bemüht sich die EKD schon länger, analog zur Deutschen Bischofskonferenz mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) eine gemeinsame Erklärung zu veröffentlichen. Sie soll im Laufe dieses Jahres unterzeichnet werden und neben verbindlichen Standards der Aufarbeitung inklusive der Betroffenenbeteiligung auch die Bildung regionaler Aufarbeitungskommissionen regeln. Diese wären dann dafür zuständig, unter der Einbindung Betroffener und auf der Basis der Ergebnisse der ForuM-Verbundstudie einen umfassenden und unabhängigen Aufarbeitungsprozess zu begleiten. Es ist schon vereinbart, dass die rheinische Kirche eine solche regionale Aufarbeitungskommission zusammen mit der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Lippischen Landeskirche und der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe bilden wird.

Studie zu Missbrauchsfällen in Moers beauftragt

Als dritte und derzeit konkreteste Ebene kommt die fallbezogene Aufarbeitung hinzu. Lokale Missbrauchsfälle werden mit wissenschaftlicher Unterstützung und der Hilfe Betroffener untersucht und aufgearbeitet. Die Einzelergebnisse bilden auch eine Basis für die spätere regionale Aufarbeitung. Aktuell ist mit der Universität Wuppertal eine Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im damaligen Schülerheim Martinstift in Moers in den 1950er Jahren vereinbart. Ergebnisse sollen Ende dieses Jahres vorliegen. Außerdem beteiligt sich die rheinische Kirche an der Vorbereitung einer Studie mehrerer Landeskirchen zum Einfluss pädosexueller Wissenschaftler in der evangelischen Kirche im Schatten der Reformpädagogik der 1970er und 1980er Jahre. Weitere fallbezogene Untersuchungen sind in Planung.

Neue Stabsstelle „Aufarbeitung und Prävention“

Um all diese Aktivitäten zu koordinieren und zu steuern, hat die Kirchenleitung die Bildung einer Stabsstelle „Aufarbeitung und Prävention“ beschlossen, die ebenso wie die Meldestelle dem Bereich des Vizepräses zugeordnet ist. Das ist umso wichtiger, als die Aufarbeitung aufgrund der dezentralen Struktur der rheinischen Kirche ein Mitwirken aller kirchlichen Ebenen von den Gemeinden über die Kirchenkreise bis zur Landeskirche erfordert. Darüber hinaus nimmt die Aufarbeitung auf evangelischer Seite nicht nur die Pfarrpersonen in den Blick, sondern auch alle anderen beruflich Mitarbeitenden sowie die Ehrenamtlichen.

 

(Stand: Februar 2022)