Loblied auf das Wunder der Menschheitsgeschichte

  • Ekkehard Rüger
  • Ekkehard Rüger

Im Neandertal zwischen Mettmann und Erkrath treffen Kirchenmusik, Archäologie und Naturschutz aufeinander. Und es ist der Ort eines zweiten Forscherglücks rund 140 Jahre nach dem ersten.

Wenn ein reformierter Pastor, Dichter und Komponist von Kirchenliedern in aller Munde ist, auch in jenen von Menschen ohne jegliche Kirchenbindung, wird man zu Recht zunächst ein Werk mit großer Ausstrahlung dahinter vermuten. Nun werden bei „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ in der Tat selbst kirchendistanziertere Gemüter noch einigermaßen textsicher und recht mühelos mit einstimmen können. Aber seinen Weltruhm, das gebietet die Redlichkeit, verdankt Joachim Neander doch wohl eher einer Sensation 176 Jahre nach seinem Tod: einem Knochenfund in der Höhle an einer Schlucht, die ebenfalls erst posthum nach ihm benannt wurde – dem Neandertal.

Ruhm für eine kurze Lebensepisode

In Düsseldorf und seiner Umgebung, auch das ist eine kuriose Fußnote dieser Geschichte, hat sich Neander dabei gerade einmal fünf Jahre seines nur 30 Jahre währenden Lebens aufgehalten – von 1674 bis 1679. Insofern kann man seinen Nachruhm schon als denkbar maximale Ausbeute einer kurzen Lebensepisode ansehen. Und es ist ein durchaus unterhaltsames Gedankenspiel, sich Joachim Neander bei einem seiner vielen Ausflüge zur Schlucht der Düssel vorzustellen, wie er über seine Texte und Melodien sinniert und dabei gedankenverloren mit ein paar Knochen spielt, die Jahrhunderte später seinem Namen zu Weltgeltung verhelfen sollten.

Nicht gedankenverloren waren Gott sei Dank die Steinbruchbesitzer, die ihren Arbeitern 1856 die Aufgabe erteilt hatten, die Feldhofer Grotte im Neandertal vom Höhlenlehm zu befreien. Die dabei entdeckten Knochenfragmente überließen sie dem Elberfelder Lehrer und Naturforscher Johann Carl Fuhlrott. Dieser stufte sie richtigerweise als Skelettreste eines Urmenschen ein. Auch wenn er zu Lebzeiten eher Spott als Ruhm für seine These erntete, bestätigten spätere Funde und Untersuchungen: Der Homo neanderthalensis war ein Verwandter des modernen Homo sapiens. Und seine nach dem Fundort gewählte Bezeichnung trägt den Namen Neander seither in alle Welt.

Das Neanderthal Museum in seiner heutigen Form wurde 1996 eröffnet.

Von der engen Schlucht zum breiten Tal

Den ursprünglichen Fundort gibt es nicht mehr und das Tal in seiner damaligen Form auch nicht. Denn seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Gesteins, wie das Neandertal im Volksmund noch lange  hieß, zum industriellen Abbau von Kalkstein genutzt. Die enge Schlucht verlor ihren wildromantischen Charakter und weitete sich zu einem breiten Tal. Dadurch allerdings wurde dieses Tal der Düssel überhaupt erst begehbar. Und weil nach dem Ende des Kalkabbaus schnell wieder Buchen-, Hainbuchen- und Schluchtwälder entstanden und Teile unter Naturschutz gestellt wurden, ist das Neandertal längst wieder ein beliebtes Naherholungsgebiet und über seine Grenzen hinweg eine touristische Marke geworden.

Seinen eigentlichen touristischen Schatz behandelte das Tal allerdings lange sehr nachlässig. Das änderte sich schlagartig 1996 mit der Eröffnung des neuen Neanderthal Museums. Und das lag nicht nur an dem preisgekrönten ovalen Museumsbau. Auch die multimediale Ausstellung, die entlang dem stufenlosen Rundweg vom Eingang bis in die oberste Etage den Spuren der Menschheitsgeschichte folgt, ist so spannend aufbereitet, dass hier selbst die größten Museumsmuffel die Zeit vergessen. Zum 25-jährigen Bestehen des Museums wurde sie ganz aktuell und noch rechtzeitig zum Start der Herbstferien überarbeitet und um den neuen Bereich „Menschen und Klima“ ergänzt.

Forscherglück vor gerade einmal zwei Jahrzehnten

Endgültig ein anderes Verhältnis zur Zeit bekommt man dann, wenn man sich vom Museum auf den etwa 300 Meter langen Weg zur parkähnlich gestalteten und öffentlich zugänglichen Fundstelle macht. An ihrem Eingang ragt der Rabenstein in die Höhe, letztes Zeugnis der ursprünglichen Felsschlucht an dieser Stelle. Von dort aus führt auf dem Boden ein Zeitstrahl in den Park. Er symbolisiert die 2,5 Millionen Jahre der Menschheitsentwicklung. Und wenn man sieht, wie sich erst am Ende des Strangs die Informationen knubbeln, obwohl sie immer noch für uns unfassbare Zeiträume beschreiben, kann man eigentlich nur demütig werden.

Zu demütiger Bewunderung für wissenschaftliche Meisterleistungen lädt dieser Ort ohnehin ein. Denn hier hat sich vor gerade einmal gut zwei Jahrzehnten eine archäologische Sensation abgespielt, die dem Ursprungsfund von 1856 in nichts nachstand. Obwohl die Feldhofer Grotte und die gesamte Schlucht durch den Kalkabbau längst verschwunden waren, gelang es Forschern, die Stelle zu berechnen, an der einst der Höhlenlehm von den Arbeitern hinabgeworfen worden sein musste. Und in der Tat: 1997 und 2000 wurden die Archäologen fündig. Einige der entdeckten Knochenteile passten wie Puzzlestücke zu den Originalfunden aus dem 19. Jahrhundert – Forscherglück, wie es einem vermutlich nur einmal im Leben beschieden ist.

Vier Millionen Euro für ein Stück Masterplan Neandertal

Reicht das an Menschheitsgeschichte? Dann kann man sich stärken: beispielsweise im Museumscafé oder im Ristorante Gavi gleich neben dem Museum. Weitere Verpflegungsmöglichkeiten bestehen am Neanderthal Kiosk gegenüber dem Museum oder im Café Neandertal No. 1 an der Zufahrt zum Parkplatz. Während der Pause kann der Blick schweifen über die renaturierte Mündung des Mettmanner Bachs in die Düssel, die neuen Brücken und den Steinzeit-Spielplatz – eine Neugestaltung, die sich der Masterplan Neandertal an dieser Stelle vier Millionen Euro hat kosten lassen.

Die Markierung der Fundstelle, an der 1997 und 2000 Knochenfragmente entdeckt wurden, die zum Teil zu den Ursprungsfunden des Neanderthalers aus dem Jahr 1856 passten.

Danach steht einem tatsächlichen Fußmarsch in die Steinzeit eigentlich nichts mehr im Wege. Zumindest lassen sich im Eiszeitlichen Wildgehege in einem 90-minütigen Spaziergang mit ein bisschen Glück rund 30 Auerochsen, Tarpane und Wisente entdecken, die schon den Urmenschen eine willkommene Jagdbeute waren. Der Weg beginnt hinter der Steinzeitwerkstatt des Museums, in der heute allerlei Kurse für Erwachsene und Kinder angeboten werden und einst das Museum alter Prägung untergebracht war.

Ein Tal ohne „h“ und ein Neander, der eigentlich Neumann hieß

Bleibt noch die ewige Streitfrage nach der Schreibweise des Neandertals: mit oder ohne „h“? Als die ersten Knochenfragmente gefunden wurden, schrieb es sich noch als Neanderthal. Entsprechend heißt der nach ihm bezeichnete Mensch auch Homo neanderthalensis. Die Rechtschreibreform Anfang des 20. Jahrhunderts nahm dem Tal das „h“, das Museum hat es in bester archäologischer Tradition für sich wieder ausgegraben.

Aber Namen, davon kann auch Joachim Neander ein Lied singen, sind ja ohnehin Schall und Rauch. Er selbst ist beredtes Beispiel dafür. Ursprünglich hieß seine Familie nämlich Neumann. Aber sein Großvater erlag der damaligen Mode, den Namen ins Griechische übertragen zu lassen. Einen Homo neumannthalensis mag man sich indes nun auch wieder nicht vorstellen.

Der Rabenstein am Eingang zur Fundstelle ist der letzte Überrest vom ursprünglichen Neandertal.

Heimliche Gottesdienste in Abgrenzung zur Gemeinde

Dass Neanders Name überhaupt mit dem Tal in Verbindung gebracht wurde, hat im Übrigen auch viel mit seiner Glaubensgrundierung zu tun. Der junge Rektor der Lateinschule der reformierten Gemeinde in Düsseldorf geriet zusehends in Konflikt mit der Gemeindeleitung. Sie hielt dem Theologen ohne Ordination vor, heimlich private Gottesdienste in Abgrenzung zur Gemeinde zu feiern und dabei einem kirchenkritischen Pietismus anzuhängen. Das Gesteins war dafür Neanders bevorzugter Veranstaltungsort. Er fügte sich schließlich dem Presbyterium, kehrte für sein letztes Lebensjahr dann aber in seine Geburtsstadt Bremen zurück.

Dort starb der noch so junge Mann am Pfingstmontag 1680. Seine Grabstätte indes (das ist angesichts dessen, womit sein Name in aller Welt verbunden wird, die letzte kuriose Fußnote) gilt bis heute als unbekannt.

INFO

Zur Erkundung des Neandertals bietet sich die Entdeckerschleife „Denkmalroute Hochdahl“ an, die vom Museum aus auch an der evangelischen Neanderkirche vorbeiführt. Die Kirche ist täglich von 10 bis 16 Uhr geöffnet.

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