Digitales Bilderarchiv zeigt „Alltag in der jungen Republik“

  • Andreas Attinger
  • Hans Lachmann/Archiv der EKiR

Das Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland hat mit dem Online-Archiv „Alltag in der jungen Republik“ 5000 Bilder aus dem Nachlass des Fotografen Hans Lachmann (1920-2006) digitalisiert. Die kostenfrei nutzbaren Fotografien zeigen das alltägliche Leben in der Bonner Republik von Freizeit und Sport über Feiertage und Demonstrationen bis hin zu Architektur und Technik. Im Interview erklärt Dr. Stefan Flesch, Archivdirektor der rheinischen Kirche, was es mit dem Projekt auf sich hat

Herr Flesch, wer war Hans Lachmann und wieso ist er für die rheinische Kirche so bedeutsam?

Dr. Stefan Flesch: Hans Lachmann, 1920 in Hirschberg (Niederschlesien) geboren und 2006 in Monheim am Rhein gestorben, diente als junger Mann als Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie. Dort lernte er sein fotografisches Handwerk. Mit diesem Know-How machte er sich nach der Kriegsgefangenschaft als Fotograf selbstständig und war schließlich bis in die 1990er-Jahre freiberuflich tätig. Früh entwickelte Hans Lachmann, auch aufgrund seiner Kriegserlebnisse, eine enge Bindung zur evangelischen Kirche. Und so wurde er nach und nach zu einer Art „Haus-und-Hof-Fotograf“ der rheinischen Kirche. Mit seiner Kamera dokumentierte er alle möglichen Events – von der Landessynode bis hin zu örtlichen Ereignissen, Gremien oder Kirchentagen. Nach seinem Tod im Jahr 2006 übergab Hans Lachmanns Familie dessen rund 500.000 Fotografien, Negative, Abzüge und Dias unserem Archiv. Aufgrund seiner Verdienste für die rheinische Kirche sahen wir uns verpflichtet, sein Werk der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Hans Lachmann nahm aber nicht nur kirchliche Motive auf, sondern dokumentierte alle Facetten der Gesellschaft. Das verdeutlichen die rund 5000 Bilder, die nun im Zuge des Archivprojekts „Alltag in der jungen Republik“ digitalisiert wurden.

Welche Fotografien finden sich in diesem Online-Archiv?

Flesch: Die Datierung der Bilder beläuft sich auf den Zeitraum von 1949 bis zirka in die Mitte der 80er-Jahre, wobei der Fokus auf den 50er- und 60er-Jahren liegt. Zu sehen sind beispielsweise spielende Kinder auf Trümmergrundstücken, Seifenkistenrennen und Aufnahmen von Bombenräumkommandos. Es gibt aber auch viele Fotografien von Demonstrationen in den 1960er-Jahren oder den Ostermärschen. Das Archiv zeigt im Grunde das komplette gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in der jungen Republik. Dabei kann der Wandel der Republik visuell nachvollzogen werden: Vom Wirtschaftswunder und dem Aufbruch der Jugend in den 60ern, über die Individualisierung und Politisierung der Gesellschaft in den 70ern bis hin zur Technisierung und dem Protest in den frühen 80er-Jahren. Was noch wichtig ist: Das Archiv ist chronologisch geordnet. Dank der erfassten Metadaten ist es zudem möglich, über die Suchfunktion gezielt verschiedene Themen aufzurufen.

Ein Herr aus Ostpreußen hält ein Ablehnungsschreiben im Flüchtlingslager Wipperfürth in der Hand. (Datum: zirka 1957)

Haben Sie ein paar Beispiele für Fotos parat?

Flesch: Ja, ein paar Fotos haben mich besonders beeindruckt. Da sind zum Beispiel die Aufnahmen aus dem Durchgangslager für Ostvertriebene in Wipperfürth. Darunter ist ein ganz stilles Foto (Suchbegriff „Ablehnungsschreiben“), das einen sehr gut gekleideten, etwas älteren Herren zeigt, der aus Ostpreußen stammt. Der Mann schaut recht traurig auf ein Ablehnungsschreiben, das er wahrscheinlich auf eine seiner vielen Jobbewerbungen erhalten hat. Im Hintergrund sieht man die Hochbettanlage des Flüchtlingslagers. Man sieht also, unter welchen Bedingungen er versucht hat, wieder zurück ins Arbeitsleben zu kommen. Ein typisches Vertriebenenschicksal der 50er-Jahre. Eindrücklich fand ich auch die Aufnahme mit einer munteren Frauengruppe die gerade dabei ist, Gestaltungselemente für einen klassischen Schaukasten einer Kirche zu basteln (Suchbegriff „Schaukastengestaltung“). Das Medium spielt heute ja quasi keine Rolle mehr. Und nett finde ich das Foto des Schaufensters eines Haushaltswarenladens (Suchbegriff „Schaufenster Haushalt“). Dort wird ganz stolz Werbung für Artikel aus echtem Plastik gemacht. Das war damals also ein Wertbegriff, nicht irgendwelche Naturstoffe, nein, gute Artikel aus Echtplastik. Das ist natürlich der genaue Gegensatz zu heute.

Im Schaufenster eines Haushaltswarenladens wird Werbung für Echtplastik-Produkte gemacht.

Wie können die Fotos genutzt werden?

Flesch: Die Bilder dürfen kostenfrei in verschiedenen Formaten und Auflösungen heruntergeladen werden und unter den Bedingungen der Creative Commons-Lizenz BY-SA 3.0 DE weiterverwendet werden. Das bedeutet, dass lediglich die Quelle „Hans Lachmann/Archiv der EKiR“ angegeben werden muss. Hauptzielgruppe sind natürlich Medien, aber auch historische Vereine und Privatpersonen. Wir wollen ihnen Quellenfutter geben. Denn heutzutage ist es oft schwierig, an freies Fotomaterial zu kommen. Als öffentliches Archiv sehe ich es auch als unsere Aufgabe, das zu ermöglichen, wenn es die rechtlichen Verhältnisse zulassen.

Eine Gruppe von Frauen arbeitet an der Gestaltung eines Schaukastens.

Sind noch weitere Fotos von Hans Lachmann kostenfrei zugänglich?

Flesch: Ja, wir haben bereits zuvor rund 8000 Fotografien von Hans Lachmann in verschiedenen Auflösungen digitalisiert. Dabei handelt es sich vor allem um Motive zum kirchlichen Leben seit den 1950er-Jahren. Das ist auch unser Kerngeschäft als landeskirchliches Archiv. Durch das neu aufgelegte Förderprogramm „WissensWandel“ des Deutschen Bibliotheksverbandes war es uns nun aber möglich, das Themenspektrum mit Hilfe von externen Projektkräften zu erweitern. Für uns war das die Chance, alle Facetten von Hans Lachmann zu präsentieren. Insgesamt sind nun also rund 13.000 Fotografien von Hans Lachmann digital zugänglich. Diesen Bestand möchten wir in den kommenden Jahren sukzessive auf rund 20.000 Aufnahmen erweitern. Das ist meiner Meinung nach eine Zielgröße, die das Werk des Fotografen angemessen repräsentiert.

Info: Das Bildarchiv des Fotografen Hans Lachmann

Das rund 5000 Fotos umfassende Archiv „Alltag in der jungen Republik“ ist hier abrufbar. Informationen zum Projekt gibt es auf der Website des Archivs der rheinischen Kirche. Die Fotografien dürfen kostenfrei heruntergeladen und unter Nennung der Quelle „Hans Lachmann/Archiv der EKiR“ genutzt werden. Das gilt auch für die rund 8000 Aufnahmen von Hans Lachmann, die mit vielen weiteren Fotos im Online-Archiv bereitstehen. Einen Einblick in Hans Lachmanns Leben bietet die virtuelle Ausstellung „Zeitgeschichte in Momentaufnahmen“