Warum die Wahrheit der beste Weg ist

Terroranschläge oder Amokläufe beschäftigen auch Kinder. Oft haben sie nach solchen Ereignissen Gesprächsbedarf, bringen Fragen mit nach Hause. Aber wie können Eltern damit umgehen? Antworten darauf liefert ein Merkblatt des Pädagogen, Notfallsanitäters und Notfallseelsorgers Professor Harald Karutz. Dieser Beitrag ist Teil der neuen Ausgabe des evangelischen Elternmagazins Zehn14, die am 15. November 2024 erschienen ist.

In Solingen tötet ein Mann mehrere Menschen während eines Stadtfestes. Auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin verlieren 13 Menschen ihr Leben, als ein Sattelzug in die Menschenmenge rast. Manchmal ist es ein Beitrag im Radio, den Kinder aufschnappen, oder eine Szene in den Nachrichten. Ein anderes Mal berichten Freunde im Kindergarten oder in der Schule von solchen Ereignissen. Und dann türmen sich Fragen auf. „Eltern stehen dann vor einer schwierigen Herausforderung“, weiß Prof. Harald Karutz, der das „Institute for Psychosocial Crisis Management“ (IPCM) an der Medical School in Hamburg leitet. Um Eltern mit den Fragen der Kinder nicht alleine zu lassen, hat er ein Merkblatt geschrieben – und gibt wertvolle Tipps für das Gespräch.

1. Ängste und Sorgen der Kinder ernst nehmen

Kinder sollten besondere Aufmerksamkeit erfahren. Vor allem in Krisensituationen, wenn sie von Terror und Amoklaufen hören, sollten sich Eltern angemessen kümmern. „Machen Sie sich bewusst, dass viele Kinder bereits mit schwierigen Situationen konfrontiert worden sind“, sagt Karutz und erinnert an die Pandemie, an Berichte über Kriege, Terror und Naturkatastrophen.„Das kann ohnehin schon Spuren hinterlassen haben“, weiß der Fachmann.

2. Kinder sachlich informieren

Karutz ist sicher: „Die Wahrheit wird nicht dadurch besser, dass man sie verschweigt.“ Kinder hätten viele Möglichkeiten, von den Ereignissen zu erfahren. Dabei könnten Gerüchte oder bruchstückhafte Informationen zusätzlich verunsichern. „Kinder ab dem Grundschulalter sollten darüber informiert werden, was passiert ist“, sagt er. Eltern sollten dabei nicht versuchen, die Ereignisse herunterzuspielen, um ihre Kinder zu schützen. Aber: Gleichzeitig sollten Eltern sensibel mit Informationen umgehen. „Äußern Sie nichts, was zusätzliche Ängste auslösen könnte“, rät Karutz und meint damit auch Spekulationen und Befürchtungen.

Harald Karutz (Foto: MSH Medical School Hamburg)
Professor Harald Karutz (Foto: MSH Medical School Hamburg)

3. Sicherheit vermitteln

„Von einer schweren Gewalttat zu erfahren, kann viele Ängste verursachen“, weiß der Fachmann. Deshalb sei es umso wichtiger, das Sicherheitsgefühl von Kindern zu stärken. „Vor allem durch Nähe, Aufmerksamkeit und Verlässlichkeit“, betont Karutz. Absprachen und Zusagen sollten sorgfältig eingehalten werden. Auch Alltagsroutinen vermitteln demnach Halt und Geborgenheit. „Betonen Sie, dass schwere Gewalttaten insgesamt sehr, sehr selten sind“, erklärt Karutz. Auch die Begrenzung des Medienkonsums könne helfen.

4. Auf Trost und Hilfe hinweisen

Eltern können laut dem Experten den Blick der Kinder auf den Zusammenhalt und den Einsatz der Polizei lenken. „Weisen Sie darauf hin, dass die Polizei genau aufklärt, wie es zu der Gewalttat kommen konnte“, ermutigt Karutz. Auch der Hinweis auf die Anteilnahme vieler Menschen könne den Kindern helfen. „Verdeutlichen Sie, dass Zusammenhalt stärkt und dabei hilft, das Geschehene gemeinsam zu bewältigen“, empfiehlt der Fachmann.

5. Aufmerksam zuhören

Eltern sind laut Karutz gefragt, wenn Kinder Gesprächsbedarf haben. „Zeigen Sie sich gesprächsbereit und hören Sie aufmerksam zu“, sagt Karutz, „aber drängen sie Kindern keine Gespräche auf.“ Besonders wichtig sei es, mögliche Signale zu erkennen, wenn Kinder etwas loswerden wollen. „Und beantworten Sie Fragen von Kindern so offen und ehrlich wie möglich“, empfiehlt er. Aber: „Eltern müssen nicht auf alles eine Antwort haben.“

6. Eigene Bewältigungsaktivität ermöglichen

Kinder haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse beim Umgang mit schlimmen Ereignissen. „Überlegen Sie gemeinsam mit Ihren Kindern, ob es etwas gibt, das sie im Augenblick selbst tun können“, empfiehlt Karutz und schlägt zum Beispiel vor, eine Kerze anzuzünden, für Betroffene zu beten oder ein Bild zu malen. „Auch sportliche Aktivitäten helfen dabei, Erregung abzubauen.“

7. Eigene Betroffenheit verständlich machen

Eltern sollten ihre eigene Betroffenheit nicht verheimlichen. „Kinder spüren rasch, wenn ihnen etwas vorenthalten wird, und sind dadurch unter Umständen irritiert“, weiß der Pädagoge. Damit Kinder das Verhalten ihrer Eltern einordnen könnten, helfe es, wenn die Erwachsenen ihre Gefühle erklären.

8. Für Ablenkung sorgen

Ein kleiner Ausflug, gemeinsames Backen, ein Spielenachmittag: „Überlegen Sie, womit Ihre Kinder auf andere Gedanken kommen könnten“, ermutigt Karutz. Angebote, die Aufmerksamkeit binden, könnten den Kindern helfen. „In einem respektvollen Rahmen ist dies auch nach einer schweren Gewalttat keineswegs pietätlos“, erklärt er und ergänzt: „Sie setzen grausamen und schrecklichen Dingen ganz bewusst etwas Gutes entgegen.“

9. Reaktionen der Kinder beachten

Jedes Kind reagiert anders: Zu möglichen Reaktionen gehören laut Karutz Konzentrationsschwierigkeiten, Alpträume, Ängstlichkeit oder Gereiztheit. „Solche Reaktionen sind normal und klingen in den meisten Fällen nach kurzer Zeit wieder ab“, weiß er. Sollten sie aber mehrere Wochen anhalten, sollten sich Eltern an eine Fachkraft wenden. Auch Eltern könnten sich bei Verunsicherung entsprechenden Rat holen.

Zur Person: Dr. Harald Karutz arbeitet mit dem Schwerpunkt Psychosoziales Krisenmanagement, Psychosoziale Notfallversorgung (speziell von Kindern und Jugendlichen) und der beruflichen Bildung von Einsatzkräften. Er leitete fast 20 Jahre eine Berufsfachschule für den Rettungsdienst, arbeitete dann im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, bevor er 2010 als Professor an die MSH Medical School in Hamburg wechselte.

Info: Hilfe für Kinder und Eltern

Erziehungsberatungsstellen sowie die Fachkräfte der Schulseelsorge und Notfallseelsorge können weitere Hinweise geben. Ein „Elterntelefon“ ist unter der Rufnummer 0800 111 0 550 erreichbar. Kinder können sich selbst jederzeit an die „Nummer gegen Kummer“ 116 111 wenden.

  • 25.11.2024
  • Theresa Demski