Im Kirchenjahr haben wir diese Woche „Cantate“ gefeiert – den Singe-Sonntag. Passend zum Eurovision Song Contest. Ich selbst habe diese Woche allerdings mehr geredet als gesungen – und anderen beim Reden zugehört. Mehr eine Kirche der Wörter als des Wortes. Interessanterweise heißen die Sonntage in der nachösterlichen Zeit Jubilate, Cantate, Orate, aber nicht Dicite. Also Jubelt! Singt! Betet! Und nicht: Redet!
„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ So der Leitvers aus Ps 98 für die Singwoche. Drei kurze Gedanken dazu:
1. Kirche als Klangraum der Hoffnung
Der Gemeindegesang zeichnet urreformatorisch unsere evangelische Kirche aus. Bei uns hat jede und jeder etwas zu sagen und zu singen. Unter der Dusche, im Stadion und in der Kirche sind die drei Orte, wo Menschen laut singen. Im Singen bin ich ganz bei mir und zugleich Teil einer großen Gemeinschaft (das aber weniger unter der Dusche). Mein persönlicher Glaube wird dabei öffentlich.
Im Singen nimmt mein Glaube den Mund voller, als er es sonst jemals tun würde. „Wer singt, betet doppelt.“ So hat es Martin Luther formuliert. Mein Körper resoniert, der ganze Kirchenraum erklingt und die Welt bekommt einen anderen Klang. Ich glaube, dass viele Menschen darauf warten, dass ein anderer, heilsamer Ton in unsere gesellschaftlichen Debatten einzieht.
2. Wir brauchen neue, alte Lieder
Die Lieder unserer Zeit haben mitunter etwas von einer Trauer-Leier: „Wir werden weniger, älter, ärmer.“ Wir brauchen neue, andere Hoffnungslieder. Doch um diese zu finden, ist es gut, von den starken alten Liedern zu lernen. Ein Mensch, der in seinem Leben regelmäßig den Gottesdienst besucht, singt – grob geschätzt – ungefähr 2863 Strophen von Paul Gerhard. Paul Gerhard war bereits mit 14 Jahren Waise. Er schrieb seine Lieder in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, von Pest und Hungersnot. Vier seiner fünf Kinder verstarben früh. Er wurde zwischenzeitlich arbeitslos. Am Ende starb er in bescheidenen Verhältnissen. Doch noch heute singen wir seine Hoffnungslieder.
Vielleicht ist das eine der wichtigsten Aufgaben von uns als Gemeinden: Die starken, alten Lieder zu üben, um zu eigenen, neuen Hoffnungsliedern zu finden. Trotzig und getrost von unserer Hoffnung auf Gott zu singen. Auf den Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, der Leben aus dem Tod erweckt und Licht aus der Finsternis schafft.
Womit wir bei 3. wären: dem Grund für das Singen neuer Lieder
„Singet dem Herrn ein neues Lied – denn er tut Wunder.“ Um realistisch zu sein, müssen wir von Wundern reden. Das gilt für die Vergangenheit wie für die Gegenwart und Zukunft. Dass es die Welt, die Kirchen, unser Leben gibt, ist ein Wunder. Nichts anderes. Und es ist ein Wunder, was einmal aus ihnen noch werden wird. Die Welt, die Kirche, unser Leben zu erhalten – das liegt nicht in unserer Hand. Das hat es nie getan. Unsere Aufgabe ist es, mutig und getrost das Unsere zu tun. Das, was hier und jetzt dran ist. Und das Übrige dann getrost Gott zu überlassen. Zum Wunder gehören dabei zwei Dinge: Zum einen, dass wir Gott am Wirken erfahren. Und zum anderen, dass wir als Menschen uns heilsam verwundern lassen.
Der Beter von Psalm 98 fordert dabei nicht nur dazu auf, ein neues Lied zu singen. Er stimmt selbst ein solches Lied an – in drei Strophen:
In der ersten Strophe singt er vom Heil, das Gott an seinem Volk Israel tut.
„Er gedenkt an seine Gnade und Treue für das Haus Israel,
aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.“
Wir sind Teil einer 3000-jährigen Hoffnungsgeschichte. Als Heiden dürfen wir teilhaben am Heil des Volkes Israel. Ein Heil, das Israel bleibend gilt – und von ihm für alle Völker ausgeht. Das zu betonen, ist wichtig, gerade in unseren Tagen: Das Heil für Israel schließt das Heil für andere immer ein. Auch für die Menschen im Gazastreifen. Darum geht es, so glauben wir als Christ/innen, in Jesus Christus. Eine allumfassende Liebe Gottes, die auch im Tod nicht haltmacht und allen Menschen gilt. Wo zwei oder drei in Christi Namen zusammen sind, da ist der Auferstandene selbst unter ihnen.
In der zweiten Strophe geht es dann um die ganze Welt.
„Jauchzet dem Herrn, alle Welt, singet, rühmet und lobet!
Lobet den Herrn mit Harfen, mit Harfen und mit Saitenspiel!
Mit Trompeten und Posaunen.“
Die ausführliche Aufzählung von Instrumenten in den Psalmen waren lange Zeit, offen gesagt, nicht so mein Ding. Harfen, Saitenspiel, Trompeten, Posaunen – das klingt nett, aber auch ein bisschen dicke. So ein bisschen nach Orffschem Musikunterricht in der Schule. Bis ich begriffen habe, dass es dabei um die Vielfalt unserer Stimmen geht. Egal, wer du bist, wen du liebst, wo du herstammst, welches Instrument du im Leben spielst: Hier bist du im richtigen Chor. Solch ein symphonisches Selbstverständnis täte unserer Zeit sehr gut.
Und in der dritten Strophe wird das dann auf die ganze Schöpfung ausgeweitet.
„Das Meer brause und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.
Die Ströme sollen in die Hände klatschen, und alle Berge seien fröhlich
vor dem Herrn; denn er kommt, das Erdreich zu richten.“
Das ist der Horizont unseres Glaubens und unserer Kirche: Gottes gesamte Schöpfung.
Dass Rhein, Mosel, Lahn und Wupper in die Hände klatschen und Gott loben – und nicht zwischen Dürre und Überflutung hin und herpendeln.
Dass der Erdkreis Heil erfährt – und nicht von uns Menschen vermüllt und verwüstet wird.
Dass alle Tiere uns Menschen als heilsam erfahren – und nicht ihre Artenvielfalt zerstört wird.
Davon soll unser neues Lied handeln! Also, lasst uns Hoffnungssängerinnen, Menschenfischer, Schöpfungsbewahrerinnen, Friedensstifter sein – um Jesu Christi willen.
Lasst uns mit Gottes Wunder rechnen und aus der Kraft der Auferstehung leben – so, dass es ohne Gott keinen Sinn ergibt. Wenn unsere Welt, unsere Kirche, unser Leben sich dabei ändern, dann ist das so. Nicht aber unser Vertrauen auf den einen Gott, der unser Leben in seinen Händen hält.
Theologische Impulse (168) von Präses Dr. Thorsten Latzel
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