Turn around – Predigt zum Turnfest Leipzig (Joh 20)

Turn around, liebe Gemeinde. Damit kennen Sie sich als Turnerinnen und Turner bestens aus.

Ob Überschlag, Felge oder Salto. Ob Abgang mit halber oder ganzer Schraube. Drehung um die Längs-, Breit- oder Tiefenachse. Sie sind Expert/innen in Turnarounds. Bei mir war da spätestens beim Handstand mit Abrollen Schluss.

Turnarounds. Darum geht es – in anderer Weise – auch im Glauben. Um die Fragen nach den Wendungen des Lebens:

– Ob die Welt, das Leben sich ändern können, ob ich mich ändern kann.

– Ob mit dem Tod als letzter Wende, als Salto mortale, alles aus ist, das Leben und auch die Liebe.

– Ob es Hoffnung gibt auf ein anderes Leben, hier und jetzt, damit Leid, Unrecht und Gewalt nicht das letzte Wort haben.

– Ob es eine Hoffnung über den Tod hinaus – auf eine Wende nach der letzten Wendung.

 

Im Glauben geht es um die Turnarounds des Lebens – und um die Hoffnung auf Gott. Darauf, dass es anders wird, mit mir und meinem Leben. Dass wir mit unserem ganzen menschlichen Schlamassel nicht alleine bleiben. Darauf, dass es gut wird.

 

Die Antwort auf diese Fragen lässt sich nicht neutral beschreiben. So wie beim Sport: Worum es beim Turnen geht, versteht man nicht, wenn man auf der Bank sitzen bleibt. Dazu muss man auf die Matte.

So ist das auch beim Glauben: Er lässt sich nur erfahren und erzählen. Weil es um tiefe, letzte Lebenswahrheiten geht. Letztlich um Liebe. Und Liebeswahrheiten lassen sich nicht beweisen, sondern nur erfahren und erzählen. Darum erzählen wir die Geschichte dieses einen Menschen: Jesus von Nazareth, des Trainers und Meisterturners unseres Glaubens. Des Menschen, der uns die Liebe Gottes gelehrt und vorgelebt hat.

Das erste, was Jesus öffentlich lehrt: „Dreh dein Leben um und vertrau auf die Liebe Gottes.“ Er lässt andere diese Liebe Gottes wundersam erfahren, indem er sich ihnen zuwendet: unbedingt, grenzenlos, liebevoll. Kranken, Einsamen, Verbrechern, Fremden, Armen, Schuldbeladenen. Bis es den Mächtigen mit soviel Umkehr und Turnaround zu bunt wird und sie ihn ans Kreuz nageln. Und bis Gott dann die allerletzte, entscheidende Wendung vollzieht – und diesen Menschen auferweckt. Gottes Liebe siegt über den Tod.

 

Ich weiß nicht, wie es in Ihrem Leben aussieht. Ob Sie – wie viele Menschen damals und heute – die Einsamkeit kennen. Wenn das Leben nur noch Leere ist, ein tiefes Loch. Oder das Gefühl, an der verrückten Welt einfach irre werden zu müssen. Wenn Ihnen das Leben, Sie sich selbst manchmal entgleiten.

Und dann allein die Trainingstasche zu packen, schon zu viel ist. Ob Sie sich nach einem Gott sehnen, der Sie unbedingt hält. Und gern glauben würden, aber nicht wissen, wie das gehen soll.

Dann ist die Ostergeschichte des Johannes vielleicht genau das richtige für Sie.

Und wenn Sie ganz andere Gefühle haben und gerade vor lauter Glück, Turnfest, Frühling, Liebe, Sport, Blütenzauber nicht wissen, wohin – Gott sei’s gedankt! – dann genießen Sie einfach die wunderschöne Liebesgeschichte von Maria von Magdala, der ersten Zeugin des Auferstandenen.

Ich persönlich liebe ja gut erzählte Liebesgeschichten. Weil man dabei Gott auf frischer Tat erwischt.

 

Zunächst die Vorgeschichte. Was bisher geschah. Maria von Magdala war eine Jüngerin. Sie ist Jesus gefolgt, hat ihn unterstützt. Wie viele Frauen, von denen oft nur am Rande die Rede ist. Doch die Beziehung zu ihr war noch einmal anders, besonders. Sieben Dämonen, so wird erzählt, hat Jesus von ihr ausgetrieben. Mehr Wendung geht kaum. Bis zuletzt blieb sie bei ihm, bis unters Kreuz, als nur noch ein paar Frauen da waren und seine Jünger bis auf einen längst schon abgehauen.

War Liebe dabei im Spiel? Sicher. Doch anders als in Romanzen. Es war die Liebe zu dem Menschen, der Gottes Liebe radikal gelebt hat, in dem Gott als Liebe selbst unmittelbar gegenwärtig war.

 

Frühmorgens geht sie zum Grab, als es noch finster ist. Umgetrieben von der Liebe, die den Verlorenen sucht. Von ihrer Trauer, die sie nicht schlafen lässt, die sie hinaustreibt. Und alle, auf die sie treffen wird, wird sie nach ihm fragen. Sie sucht den Verstorben, doch was sie findet, ist das geöffnete Grab. Erschrocken erzählt sie es Petrus und dem Jünger, den Jesus liebhatte.

„Der Jünger, den Jesus liebhatte.“ Von ihm ist nur in der Passions- und Ostergeschichte des Johannes die Rede. Vermutlich ist derselbe Jünger Johannes gemeint, dem auch das Evangelium zugeschrieben ist. Der Erzähler also selbst ein Liebender.

Petrus und dieser geliebte Jünger rennen sofort hin zum Grab. Der erste Osterspaziergang ist ein Wettrennen. Jungs eben. Wer ist als erster da? Wer geht als erster rein? Wer glaubt als erster? Doch letztlich bleibt all das oberflächlich: „vor-läufig“ im wahrsten Sinn des Wortes. Es kratzt nur am Rande des Wunders. Alles nur Warmlaufen. Beide sehen das leere Grab und kehren wieder heim.

 

Das hängt mit dem leeren Grab zusammen. Ist das leere Grab notwendig für die Auferstehung? Nein. Sonst hätten wir ein Problem mit der Auferstehung aller anderen Verstorbenen davor und danach, deren Leichname sich allmählich auflösen. Gott ist frei, Leben zu schaffen, wie und woraus er will.

Ist das leere Grab hinreichend für die Auferstehung, ein Beweis? Nein. Denn es ließe sich auch anders deuten. Auch das findet sich in der Bibel: Der Gärtner hätte den Leichnam verlegt, seine Anhänger ihn geraubt. Das leere Grab ist ein kommunikativer Störer, eine heilsame Irritation. Für sich allein kratzt es auch nur an der Oberfläche: „Boah, krass.“ Noch kurz ein Selfie vor der Grabkammer, dann geht es zurück. Das leere Grab hat damals wie heute nicht zum Glauben geführt. Es führt zu Erschrecken und Irritationen. Um an die Auferstehung zu glauben, braucht es den Auferstandenen.

 

Da beginnt nun unsere Geschichte. Und die Liebe kommt ins Spiel. Maria steht also allein vor dem leeren Grab. „Und sie weint.“ Gleich viermal wird dies in der kurzen Geschichte erzählt. Ihr Weinen und Erkennen hängen miteinander zusammen. Die beiden Jünger sind längst wieder verschwunden. Nur sie steht da: allein und weint und kann nicht loslassen. Es ist Liebessprache, in der ihre Trauer beschrieben wird. „Als sie nun weint, beugt sie sich in das Grab hinein und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. Und die sprechen zu ihr: ‚Frau, was weinst du?‘ Sie spricht zu ihnen: ‚Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.‘“

Sie sieht als einzige die Engel dort sitzen. Spricht mit ihnen. Doch das Überraschende: Es löst nichts aus. Anders als bei anderen Ostergeschichten gibt es bei Maria nicht einmal ein Entsetzen. Ich meine: Es sind immerhin Engel. Nichts! Sie wendet sich einfach ab. Nicht nur das leere Grab, auch die Engel führen nicht zum Glauben. Weil es hier um ein Wunder, eine Wahrheit geht, die letztlich nicht einmal Engel vermitteln können.

 

Maria wendet sich ab – und Jesus zu. Doch vor lauter Trauer erkennt sie ihn nicht. Hält ihn, den sie sucht, für den Gärtner. Was für eine schöne Verwechslung! Der erste Osterwitz. Klar: Am Ende ist es immer der Gärtner. Und noch einmal, wie in einem Traum, wiederholt sich das Gespräch. Bis hierhin verläuft noch alles weithin normal. Trauer, Verlust. Ein leeres Grab. Zwei Engel, ok. Eine fremde Person. Nichts von Auferstehung. Und in Maria ist es weiter einfach finster: „Total eclipse of the heart.“

 

Doch nun passiert es. Das Wunder, die Begegnung mit dem Auferstanden. Und wie so oft kommt das Wunder mit kleinen Schritten daher. „Spricht Jesus zu ihr: Maria!“ Jesus ruft sie bei ihrem Namen. Der, den sie sucht, findet sie. Er nennt sie und erkennt sie, so wie sie sich nicht einmal selbst kennt. „Maria!“ Da liegt alles drin: Die sieben Dämonen. Ihr Leben, ihre Liebe, ihre Trauer. Wer sie war, wer sie ist. „Maria!“ Call me by my name! Die tiefe Sehnsucht, dass es einen gibt, der mich besser kennt als ich mich selbst. Der mich liebt und versteht und mich bei meinen Namen ruft. „Maria!“

 

„Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: ‚Rabbuni!*‘ das heißt: Meister!‘“ Diese kleine Stelle hat den Auslegern großes Kopfzerbrechen bereitet. Wie kann Maria, die sich Jesus schon zugewandt hatte und längst mit ihm spricht, sich ihm noch einmal zuwenden? Das Wunder der Auferstehung hängt mit diesem kleinen Detail zusammen: dem Geheimnis der zweiten Wendung. „Da wandte sie sich um …“ „Turn around, bright eyes“

Beim ersten Mal wendet sich Maria vom leeren Grab zum Gärtner. Sie kehrt ihren Körper um, physisch, doch ihre Seele bleibt starr. Beim zweiten Mal wendet sie sich zu dem, der sich ihr zugewandt hat. Zu dem, der sie bei ihrem Namen ruft. Der sie tiefen-kennt, den sie liebt. Der also nicht mehr tot sein kann. Zum Auferstandenen. Wie die Blume sich zur Sonne kehrt. Seelen-Wende.

 

Und sie spricht zu ihm in der Sprache, die sie immer gesprochen haben. Und nennt ihn, wie sie ihn immer angesprochen hat: Rabbuni. Meister. Die zweite Wende ist die Kehre vom Tod zum Leben, der Moment, in dem Maria selber aufersteht. Mitten im Leben. In dem der Tod für sie keine Macht mehr hat. Du rufst mich. Also lebst du. Und mit dir auch ich.

 

„Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an!“ Das ist der am häufigsten zitierte Satz dieser Geschichte – und zugleich der schwierigste: „Noli me tangere.“ „Rühre mich nicht an.“ Da begegnet Maria also – endlich – dem auferstandenen Jesus. Und sogleich entzieht er sich ihr wieder. Derselbe Auferstandene wird bald darauf dem zweifelnden Thomas begegnen und ihn auffordern: „Lege deine Hand in meine Seite, deine Finger in meine Wunde.“ Was meint dann also das „Rühre mich nicht an“?

Manche haben die ursprünglich griechischen Worte übersetzt als: „Halt mich nicht fest!“ oder: „Halt mich nicht auf!“ Der Auferstandene ist ganz gegenwärtig und zugleich völlig entzogen. Das erfährt Maria wie alle, die ihm begegnen. Die Liebe, die den Tod besiegt hat, ist nicht handhabbar. Nicht fixierbar, beweisbar. Sie lässt sich nur erfahren und erzählen. Und das tut Maria.

„Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: ‚Ich habe den Herrn gesehen‘, und was er zu ihr gesagt habe.“ Dies ist der Anfang des unsterblichen Gerüchts vom Wunder der Auferstehung Christi – und vom Sieg der Liebe Gottes über den Tod.

 

Doch was heißt das nun für Sie, für mich: für die Momente tiefer Leere in mir, für meine kränkelnde Hoffnung, die so leicht erstirbt, für meine Unfähigkeit zu glauben?

Ja, mein Leben im tiefsten Innern zu ändern, gar an die Auferstehung zu glauben, ist eine menschliche Unmöglichkeit. Die Menschen damals konnten’s nicht. Wir können es auch nicht. Wir kommen mit unserem Wunsch zu glauben nicht weiter als bis zum leeren Grab. Wir kratzen wie die Jünger nur an der Oberfläche. Drehen uns wie Maria blind im Kreis. Ich finde Christus, das Leben, die Liebe nicht. So sehr ich mich bemühe.

Doch Christus, der Auferstandene, findet mich. Er erkennt mich – tiefer als ich es selbst jemals vermag – mit den Augen der Liebe Gottes. Er ruft mich bei meinem Namen: „Thorsten! Sarah! Michael! Johanna! Maria!“ Call me by my name. Und dann ist es an mir, die zweite Wende zu tun: meine Seele dem Licht der Liebe Gottes zuzukehren. Loslassen – meine alten Bilder von mir, den anderen, dem Leben, von Gott. „Halte mich nicht fest!“ Und auferstehen. Selber auferstehen.

Indem ich aus dieser unverfügbaren Hoffnung lebe, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod. Und anderen von diesem Liebesgerücht Gottes erzähle wider alle Hoffnungslosigkeit in dieser Welt. Eine Liebeswahrheit, die sich nicht beweisen lässt, sondern nur erfahren – und erzählen.

 

Darum:

– Geh raus auf die Matte Deines Lebens und trau Dich zu turnen. „Forever’s gonna start tonight.“

– Es gibt einen, der Dich hält, auch wenn Du ihn selbst nicht halten kannst.

– Einen, der Dich kennt und liebt und bei Deinem Namen ruft.

– Für Christus spielt es keine Rolle, welche Medaille Du gewinnst, was andere von Dir denken, ja, sogar, was Du von Dir selber hältst. In Christus ist Gott auf Deiner Seite.

– Egal welche Wendungen und Pirouetten Dein Leben auch dreht: Gott ist da. An Deiner Seite. Und gibt Deinem Leben Sinn, Ziel und Richtung. „Together we can make it to the end of the line.“

– Gott hilft Dir zu leben, zu lieben und Dich anderen zuzuwenden.

– An Tagen, an denen Du an der Welt, Deinem Leben irre wirst, Dir selbst Deine Trainingstasche zu schwer wird, trägt Gott Dich – mit samt Deiner Tasche und der verrückten Welt.

– Und an Tagen, an denen Du vor Freude nicht weißt wohin, ist Gott der Sonnenschein, der aus Deinem Knopfloch scheint.

Darum: Steh auf zu einem neuen Leben. „Turn around, bright eyes.“

Liebe mutig, trotzig und getrost – hier und jetzt, aus Gottes Liebe.

Und der letzte Turnaround Deines Lebens liegt ohnehin in Gottes Hand.

Und der wird wunderbar sein.

  • 31.05.2025
  • Thorsten Latzel
  • Red