„Tischmanieren für das Himmelreich“ – ein kleiner himmlischer Knigge

Wie stellen Sie sich das Himmelreich vor? Ich finde, das ist gar nicht so einfach.

– Niemand von uns ist da gewesen. Wir können keinen anderen fragen.
– Nicht einmal eine Punktebewertung auf Booking.com gibt es.
– Auch wir Pfarrer/innen kommen da oft ins Stocken und bleiben meist eher „wolkig“.

In der Geschichte gab es drei Grundwege, ein Bild von Himmelreich zu bekommen.

1. Der Weg der Verneinung. Der Himmel: Das ist die Gegenwelt zu unserer Welt,
wo kein Mensch mehr hungert, leidet, fliehen muss, wo es keine Herrscher mehr gibt, die das Recht brechen, wo auch der Tod nicht mehr ist, noch Leid und Geschrei.
Kein Krieg, kein Krebs, keine Staus, Stress – und vor allem: keine Steuererklärung. Der Himmel als Gegenwelt der Erlösung.

2. Der Weg der Steigerung, des Übermaßes. Der Himmel: der Inbegriff alles Guten.
Wunsch- und Zielort des Lebens. Das große Utopia, eine Mischung von Garten Eden, Elysium und Eldorado, die Insel der Seligen, das Gold- und Schlaraffenland, wo Milch und Honig fließen, das himmlische Jerusalem, wo Gott bei uns Menschen wohnt, Löwe und Lamm zusammen grasen. Der Himmel als Idealwelt der Erfüllung.

Und 3. Der Weg der Analogie, Übertragung und Metaphern. Der Himmel als Wie-Welt.
„Wie ein Fest nach langer Trauer,
wie ein Feuer in der Nacht,
ein offnes Tor in einer Mauer,
für die Sonne aufgemacht, …“
Wie ein ewiger Sommer am Comer See, wie die Geburtstagsparty der neuen Welt, wie ein einziges Frühstücksbuffett, wie sieben Richtige für alle, wie ein nie endendes Live-Konzert von Mozart, Beatles, Bach, Queen und Taylor Swift. Elvis lebt und nicht nur er. Der Himmel als Wie-Welt der Verwandlung. Und doch immer ganz anders.

Wenn Jesus vom Himmelreich spricht, dann kommen vor allem zwei Bilder vor: zum einen das Bild vom Säen und Ernten. Zum anderen vom Essen und Trinken. Die doppelte Pointe davon: 1. Das Himmelreich kommt gewiss – wie die Saat, mit urwüchsiger Kraft.
Und 2. Es wird „lecker“. Richtig lecker. Im umfassenden Sinne wie das niederländische Wort. Wir glauben an einen „leckeren Himmel“.

Doch letztlich ist Jesus Christus selbst das Bild des Himmelsreichs. Im Leben Jesu ist der Himmel schon ganz gegenwärtig wie die Frucht im Samen. In dem, wie er lebt, spricht und mit anderen isst, spiegelt sich, wie es einmal sein wird. Gerade das Essen spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Evangelien haben gleichsam kulinarischen Charakter. Bei Johannes beginnt Jesu Wirken mit der Hochzeit zu Kana, wo er Wasser in Wein verwandelt. Es endet mit einem Fischebraten mit den Jüngern am See Tiberias, von sich selbst spricht er als Brot des Lebens.

Die anderen Evangelien erzählen vom Abendmahl, wie Jesus sich in Brot und Wein gibt, davon, wie er immer wieder vom himmlischen Festmahl erzählt, hemmunglos mit allen und jedem isst, der ihm begegnet, und seine Gegner sich an seiner Tischgemeinschaft stören: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ „Ein Fresser und Weinsäufer.“

Wenn wir Christus nachfolgen, kommen wir um seine Mahlpraxis nicht herum. Doch Christi Mahlpraxis und das Festessen im Himmelreich unterscheiden sich markant von dem, wie Bankette und Diner bei uns ablaufen. Daher: ein kleiner Knigge für das Himmelreich.

1. Wir sind alle Gäste – und sollten uns auch so verhalten.

Wir sind keine theologischen Türsteher oder himmlischen Platzanweiser. Auch wenn sich manche allzu Fromme mitunter gerne so verstehen, als wären sie die religiösen Restaurantbesitzer. Wir sind alle gemeinsam zu Gast am Tisch des Herrn, Christus ist der Einladende. Deswegen ist und bleibt es ein himmelschreiender Skandal, wenn wir uns als Christinnen und Christen wechselseitig vom Mahl der Gemeinschaft ausschließen.

Und bevor wir hier unsere protestantische Nase über die katholische Kirche rümpfen: Auch wir brauchten sage und schreibe 450 Jahre, bis wir das als Reformierte, Unierte und Lutheraner gemeinsam hinbekommen haben. Das ist erst seit 50 Jahren kein Problem mehr.

2. Schlechter Umgang gehört hier zur guten Sitte.

Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ Das ist das Markenzeichen Christi. Er isst und trinkt mit den Unberührbaren, Aussätzigen, Zöllnern und Sündern, mit denen sonst niemand etwas zu tun haben will. Und das sollte auch unser Markenzeichen sein.
Pointiert formuliert: „Christsein heißt, miteinander essen können.“

Das klingt ganz nett. Spannend wird’s, wenn die anderen Gesichter bekommen. Das meines Trump und Putin bewundernden Onkels, des prolligen Protz-SUV-Fahrers aus der Nachbarschaft, der persönlichen Lieblingsfeinde meines Lebens? Mal ehrlich: Wie divers ist Ihre, meine Diversitätsoffenheit eigentlich wirklich? Drei Stunden Fahrt im überfüllten ICE bei ausgefallener Klimaanlage zeigen mir meine eigenen Grenzen. Ich liebe ja Menschen, prinzipiell alle, so lange sie mir nicht zu nahe kommen. Und sie alle, alle im Zug gehören mit an den Tisch Christi. Auch der so nervig laut am Handy spricht.

3. Mach’s wie Christus – setz dich an den Katzentisch.

Schon zu Lebzeiten stritten Jesu Jünger, wer einmal links und rechts von ihm im Himmel sitzen dürfe. Ohne zu begreifen, dass es da um Kreuzesplätze geht. Im Himmelreich gibt es kein Kopfende, keine Tischkärtchen und keinen Tafelplan. Christus, der Gastgeber, sitzt hier am Katzentisch.

Der Begriff des Katzentisches stammt wohl aus dem Klosterleben. Er meint niedere Plätze, separat platziert, zugig neben der Tür, mit kümmerlicher Kost. Oder schlicht den Boden, wo die Hunde und Katzen essen. Und die Bedeutung dieses Platzes lernt Jesus in den Evangelien übrigens selbst von einer kanaanäischen Frau.

4. Vor dem Essen Füße waschen nicht vergessen. Und zwar den anderen.

Nun, meine Füße gehören echt nicht zu den schönsten Teilen meines Körpers. Doch das gehört zu unserem Tischdienst füreinander, griechisch zur Diakonie. Dass wir das Leid, den Schmutz, die unschönen Seiten der anderen annehmen, in unsere Hände nehmen und das Unsere zu ihrem Besten beitragen. „Einander die Füße waschen“: Gerade in seiner physischen Anstößigkeit ist es wichtig.

Im antiken Orient war es Ausdruck tiefer Gastfreundschaft. Eine Frau salbt Jesu Füße im Vorgriff auf seinen Tod. Er selbst wäscht seinen Jüngern die Füße als Ausdruck seiner Liebe, seiner Hingabe. Ein Ritus, der nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch in evangelischen Freikirchen an Gründonnerstag praktiziert wird – und bei uns in Vergessenheit geraten ist.

5. „Den Reinen ist alles rein.“

Was für ein schöner, Freiheit atmender Satz: Nichts, was ein Mensch isst, ist Sünde. Nicht das Fleisch von Opfertieren damals, die für heidnische Götzen geopfert wurden. Nicht die fette Sahnetorte oder rote Wurst heute. Nicht Fleisch, nicht Alkohol, nicht mal die ungesunde Fertigpizza ohne jegliche Omega-3-Fettsäuren, Vitamine, Ballaststoffe oder Mineralien. Uns Reinen ist alles rein.

Ob wir es dann alles essen wollen, sollen oder müssen angesichts der ökologischen, medizinischen und ethischen Erkenntnisse, ist eine andere Frage. Aber es kann doch sehr entspannen, damit uns Speisen nicht spalten. Den Reinen ist alles rein – das gilt für mich und für alle meine Tischnachbarn.

6. Im Himmel geben alle den Löffel ab. Und Gabel und Messer.
Denn Besteck als Ausdruck sorgsam individueller Essenszuteilung brauchen wir nicht.
Wir brechen Brot miteinander. Und teilen gemeinsam den Tischsegen. Da geht es nicht darum: „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen oder aus meinem Becherchen getrunken?“ Nicht um das Mein und Dein meiner kleinbürgerlichen Zwergenseele. Sondern um tiefe Lebens- und Gabengemeinschaft. „Wir sind, die wir von einem Brote essen, aus einem Kelche trinken, Jesu Glieder, Schwestern und Brüder.“

7. Und die Rechnung am Ende? Die zahlt hier der Wirt.

Einmal wird uns die Rechnung präsentiert: für den Sonnenschein, für die Tulpen und Buschwindröschen, für das Singen der Amsel, die Luft zum Atmen, die Musik, für den Wald, die Berge, die Wüste, das Meer, für das Tanzen. Und dann wird Gott lächeln und sagen: „Das geht auf mich. Ihr seid meine Gäste. Eingeladen. Immer schon.“

 

 


Theologische Impulse (160) von Präses Dr. Thorsten Latzel |

Weitere Impulse: www.glauben-denken.de
Als Buch: www.bod.de

  • 22.03.2025
  • Thorsten Latzel
  • Red