„Es ist uns gelungen durchzuhalten“

Corona hat die Seelsorge im Krankenhaus extrem erschwert. Aber der Düsseldorfer Krankenhausseelsorger Ulrich Lüders hat trotzdem viel Dankbarkeit erlebt – bei Angehörigen wie bei Mitarbeitenden.

Das hohe, lichte Eingangsfoyer des Florence-Nightingale-Krankenhauses in Düsseldorf-Kaiserswerth wird von einem Sichtschutz zerteilt. Dahinter befinden sich Räume für den Corona-Abstrich. Neben dem Haupteingang ist seit dem Frühjahr eine Sicherheitskraft postiert. Denn die Mitarbeitenden an der Rezeption sind eine Art Prellbock für allen Corona-Unmut, der im Krankenhaus aufläuft: über die Maskenpflicht im Gebäude, über die Besuchsbeschränkungen und die Sicherheitsmaßnahmen. „Wir sind als Seelsorger auch mit der Rezeption im Gespräch“, sagt Ulrich Lüders.

Schutzkleidung stand von Anfang an zur Verfügung

Der 60-Jährige ist einer von zwei evangelischen Krankenhausseelsorgern in der Kaiserswerther Diakonie-Einrichtung. Das Fünferteam wird durch zwei katholische Kollegen und eine ehrenamtliche Seelsorgerin ergänzt. Und gemeinsam haben sie von Beginn der Coronakrise an versucht, den schmalen Grat zu finden zwischen der kirchlichen Sicherheitsdirektive einerseits, sich aus der aufsuchenden Seelsorge möglichst zurückzuziehen, und der Ermunterung der Krankenhausleitung andererseits, diese aufsuchende Seelsorge gerade jetzt weiter anzubieten und nicht nur auf Anforderungen zu reagieren. „Wir haben hier auch von Anfang an Schutzkleidung zur Verfügung gestellt bekommen“, sagt Lüders.

Mitarbeiterseelsorge gehört mit zur täglichen Arbeit

Oft habe er mit Patienten zu tun, die von sich aus Seelsorge gar nicht als Möglichkeit in Betracht gezogen hätten, „mit denen sich dann aber über Hinweise aus dem Pflegepersonal oder von Ärztinnen und Ärzten gute seelsorgerische Gespräche ergeben haben“. Das mache es so schwierig, die aufsuchende Seelsorge beiseite zu lassen. Zumal es in der Krankenhausseelsorge längst nicht nur um die Patientinnen und Patienten selbst geht. „Auch die Mitarbeiterseelsorge ist einer der zentralen Punkte und gerade zu Beginn und in der Mitte der Krise war dort eine ganz deutliche Sehnsucht spürbar, mit uns in Kontakt zu bleiben.“

Stationen sind innerhalb des Teams aufgeteilt

Das Seelsorgeteam hat die Stationen untereinander aufgeteilt, jeder kümmert sich schwerpunktmäßig um vier bis fünf von ihnen. Zu Lüders Zuständigkeit gehört auch eine Lungenstation, auf der er schon immer unter Schutzvorkehrungen auch Tuberkulosekranke besucht hat. Als Sprecher des Konvents der Krankenhausseelsorge in der rheinischen Kirche hat er daher auch daran erinnert, dass vielen Kolleginnen und Kollegen das Arbeiten mit Schutzkleidung vertraut ist. „Wir wollten nicht das Gefühl der Menschen im Krankenhaus verstärken, dass alle sie im Stich lassen.“

Neue Angebote in der Krise entwickelt

Dieser Vorwurf an die Kirche ist in der Coronakrise mehr als einmal laut geworden – und das nicht nur in der Krankenhausseelsorge. Lüders will ihn so nicht gelten lassen. „Ich kann nicht ausschließen, dass Menschen auch enttäuscht worden sind“, sagt er zwar. Aber der Pfarrer verweist zugleich auf die vielen neuen Angebote, die in der Krise entwickelt worden sind: von verstärkt verteilten Andachten bis zum seelsorgerischen Einsatz an den kostenlos nutzbaren Haustelefonen. „Es ist uns gelungen, entgegen dem Stichwort ,Kirche hat versagt‘ etwas von unserer Arbeit durchzuhalten.“ Man könne gerade der Seelsorge nicht unterstellen, dass sie in der Krise nicht versucht habe, dazubleiben und weiterzumachen – auch wenn bis heute noch keine Krankenhausgottesdienste gefeiert werden können.

Gedächtnisgottesdienste gefragter als in der Zeit vor Corona

Dafür wurden aber im August gleich viermal ökumenische Gedächtnisgottesdienste angeboten, für die unter normalen Bedingungen einmal im Quartal die Angehörigen der im Krankenhaus Verstorbenen in die Mutterhauskirche auf dem Diakoniegelände eingeladen werden. Seit dem Lockdown im April waren sie ausgefallen, nach den Sommerferien wurden sie mit einem neuen Schutzkonzept nachgeholt. „Da haben wir die Erfahrung gemacht, dass ganz viele gekommen sind, deutlich mehr als vor der Krise.“ Weil die Bestattungen selbst oft unter großen Einschränkungen erfolgt waren, habe es eine große Dankbarkeit für das Angebot aus dem Krankenhaus gegeben. „Manche sind mit all den Menschen gekommen, die an der eigentlichen Beerdigung nicht teilnehmen konnten.“

Absagebrief mit Dank für das kirchliche Angebot

„Wir bekommen ganz häufig positive Rückmeldungen schon allein, wenn wir nur die Einladung zu den Gedächtnisgottesdiensten verschicken“, erzählt der Seelsorger. Eine ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: Da schrieb der Sohn einer Verstorbenen, seine Mutter sei aus der Kirche ausgetreten und er wolle daher das Angebot nicht in Anspruch nehmen. „Aber ich schreibe Ihnen diesen Brief, weil ich mich bedanken möchte, dass Sie so etwas machen.“ Lüders hat dieser Brief noch einmal verdeutlicht, „wie positiv die Menschen reagieren, wenn du ihre Nöte triffst“.

Krankenhaus als große Unterbrechung des gewohnten Lebens

„Wo wart ihr?“ – diese Frage ist dem Krankenhausseelsorger dagegen in der Coronakrise bisher nicht begegnet, weder aus dem Mund von Mitarbeitern noch von Angehörigen. Das habe auch mit der traditionell engen Verzahnung der Institutionen Kirche und Krankenhaus zu tun. Krankenhaus, das sei für viele aufgrund der Erfahrungen mit Krankheit, bedrohlichen Diagnosen oder schwierigen Operationen eine große Unterbrechung ihres gewohnten Lebens, sagt Lüders. „Wenn es in dieser Situation dazu kommt, dass man sich gut versteht, und das sind die glücklichen Momente in der Seelsorge, dann passt das auch für diese Menschen.“ Auch wenn einige Reaktionen mitunter kurios ausfallen: Als eine Patientin mal auf sein Namensschild blickte, reagierte sie mit der Bemerkung: „Ah, Sie sind Seelsorger. Schön, dass Sie kein Pfarrer sind.“ Lüders nimmt aus dieser Reaktion für sich mit: „Das Krankenhausgesicht der Kirche ist ein freundliches, zugewandtes Gesicht“ – auch für diejenigen, denen sie sonst als Projektionsfläche für ihre schlechten Erfahrungen dient.

Zwischen Sicherheitsbedürfnis und Risikobereitschaft

„Fühlst du dich sicher?“, hat Lüders‘ Frau ihren Mann inmitten der Krise öfter gefragt. „Ich fühle mich verdammt sicher, weil ich weiß, dass von Seiten des Trägers und des Pflegepersonals alles versucht wird, mir dieses Gefühl auch zu geben“, war und ist seine Antwort darauf. Wie risikobereit soll ein Seelsorger sein? Das müsse jede und jeder mit sich selbst ausmachen, sagt er. Die italienischen Priester, die in der Hochphase der Pandemie teils ihr Leben riskiert und auch verloren haben, hätten grundsätzlich erst einmal Respekt verdient. Aber Vergleiche verbieten sich aus seiner Sicht. Da ist zu viel abhängig von der persönlichen Erfahrung mit der Krankheit, der Verantwortung für sich und andere sowie dem Risiko, selbst für eine Verbreitung des Virus zu sorgen.

Besser auf das vorbereitet, was passieren kann

Was passiert, wenn die Belastung noch einmal steigt? „Wir haben alle gelernt“, sagt Lüders. „Wir wissen besser, was passieren kann.“ Ein Seelsorge-Ethik-Team ist gebildet, auch wenn es im Haus noch keinen einzigen Triage-Fall gab, in dem über Behandlungsprioritäten entschieden werden musste. Wichtig sei aber vor allem, dass sich die Wahrnehmung der Seelsorge und ihrer besonderen Bedingungen unter Corona innerhalb der Kirche gewandelt habe. Denn Lüders ist sich sicher: „Das Gesicht von Kirche würde sich verändern, wenn wir nicht mehr in diesen Institutionen vertreten wären.“

  • 6.10.2020
  • Ekkehard Rüger
  • Ekkehard Rüger