Emder Synode von 1571: Bausteine einer „heilsamen Ordnung“

Die Synode vom Emden entwickelte vor 450 Jahren Grundsätze für eine Kirchenordnung, in der niemand „den Vorrang oder die Herrschaft beanspruchen“ sollte. Dr. Ilka Werner, Vorsitzende des Ständigen Theologischen Ausschusses der rheinischen Kirche und Solinger Superintendentin, erläutert im Interview, wozu die Beschlüsse der Emder Synode heute anregen können.

Frau Werner, was zeichnet das grundlegende Kirchenverständnis der Emder Synode aus?

Dr. Ilka Werner, Foto: KK Solingen

Ilka Werner: Das Protokoll lässt erkennen: Es geht darum, dass die einzelnen Gemeinden wichtige Dinge gemeinsam entscheiden. Und zwar erstens unter kollegialer Leitung ohne die Herrschaft der einen über die anderen. Und zweitens auf der Grundlage übereinstimmender theologischer Bekenntnisse und eines gemeinsamen Verständnisses des kirchlichen Auftrags.

Im Einladungsschreiben wird der Dreh- und Angelpunkt des Kirchenverständnisses beschrieben: Von Christus über die Apostel bis zu uns gilt das Versprechen von Segen und Gnade der Gemeinschaft, der Einmütigkeit und dem gemeinsamen Gebet. Jedem Einzelnen, so heißt es sinngemäß, wird von Gott nur ein bestimmtes Maß und Anteil der Gnade gegeben. Je größer darum Zusammenwirken und gegenseitige Mitteilung der Gläubigen ist, desto größer ist die Fülle der Gnade. Modern gesprochen geht es darum, aus biblischer Tradition um des kirchlichen Auftrags willen Partizipation zu organisieren.

Stadtplan von Emden um 1575 (Braun Hogenberg, Band II, 1. Auflage/Wikimedia Commons)

Wie verhalten sich die Prinzipien der Emder Synode zum kirchlichen Alltag im Rheinland heute?

Werner: Ich würde die Merkmale nicht Prinzipien nennen – denn sie sind nicht an sich wichtig, sondern als Bausteine einer „heilsamen Ordnung“, die in ihrer konkreten Gestalt auch davon abhängt, ob sie sich im Leben der Kirche bewährt. In der heutigen Evangelischen Kirche im Rheinland sind die kollegiale Leitung und die gemeinsame Bekenntnisgrundlage noch deutlich erkennbar vorhanden. Ich bezweifle allerdings, dass sie noch die tragenden Steine sind. Im Blick auf das gemeinsame Bekenntnis ist ernsthaft zu fragen, ob es noch der leitende innere Maßstab der Vielfalt kirchlicher Aktivitäten ist oder eher ein symbolischer Bezugspunkt. Und im Blick auf die kollegiale Gemeinschaft und Leitung ist zu prüfen, ob die behördlich organisierte Verwaltung den Presbyterien und Synoden dient oder längst eine fordernde Eigendynamik entwickelt hat.

Der Alltag der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts und eines der größten Arbeitgeber in einer ausdifferenzierten, pluralistischen Gesellschaft ist heute deutlich komplexer als zur Zeit der Emder Synode, so dass die Bausteine einer „heilsamen Ordnung“ hinsichtlich ihrer Tragkraft geprüft werden müssen. Aus meiner Sicht sollten etwa Verwaltungsämter und Kompetenzzentren für zentrale Handlungsfelder der theologischen Orientierung und den kollegialen Gremien konstruktiv und verlässlich als neue Bausteine zugeordnet werden. Gegenüber der schlanken Emder Organisation brauchen wir heute mehr Grundbausteine.

Die Johannes a Lasco Bibliothek steht in Emden auf den Ruinen der Alten Kirche. In der Bibliothek ist ab dem 6. Juni 2021 eine Ausstellung zur Emder Synode von 1571 zu sehen. Foto: Matthias Süßen/Wikimedia Commons

Welche Bedeutung kann die Emder Synode für die Zukunft der Kirche haben?

Das Logo zu 450 Jahre Emder Synode.

Werner: Unsere Kirche steht vor der Aufgabe, geistliche Klarheit und Anziehungskraft trotz sinkender Mitgliederzahl, Finanzkraft und gesellschaftlicher Relevanz zu bewahren oder zurückzugewinnen. Konkret stehen erneut und durch die Corona-Pandemie verschärft weitreichende Einsparprozesse auf allen kirchlichen Ebenen an. Damit stellt sich die Aufgabe, einerseits Schwerpunkte und Akzente zu setzen, andererseits Arbeitsbereiche oder Standorte aufzugeben. Das ist schmerzlich und schwierig und verwundet die Kirche wie die in ihr handelnden Menschen. Es muss dabei Raum und Kraft für Neues entstehen. Und nicht alles, was theologisch bewährt ist, kann fortgeführt werden.

Wie damals in Emden geht es dabei heute darum, aus biblischer Tradition um des kirchlichen Auftrags willen Partizipation zu organisieren. Das Jubiläum der Emder Synode kann dazu anregen, sich in der Evangelischen Kirche im Rheinland verbindlich und erneut über die theologischen Grundlagen und ihre zeitgemäße Konkretisierung im kirchlichen Handeln zu verständigen und im Rahmen der kollegialen Leitung Verantwortlichkeiten klar zu benennen sowie Handlungsbefugnisse deutlich zuzuweisen.

Dr. Ilka Werner, Jahrgang 1964, ist Superintendentin im Evangelischen Kirchenkreis Solingen und Vorsitzende des Ständigen Theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Für das Jubiläumsmagazin „Emder Synode 450 Jahre. Keine einsamen Entscheidungen“ verfasste sie den Beitrag „Gegenläufige Kulturen“.

 

  • 28.12.2020
  • Ralf Thomas Müller
  • Red