„Walking on water“ – Das Petrus-Dilemma oder: wie können wir Kirche leiten

Der Wolken, Luft und Winden, gibt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
(P. Gerhardt)

Gerade findet der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt statt. Unter dem Motto „Schaut hin“ geht es um aktuelle Fragen von Politik, Kultur, Gesellschaft, Religion – und auch darum, wie wir gemeinsam Kirche leiten können. Eine der für mich stärksten biblischen Geschichten dazu ist die von Petrus auf dem See (Mt 14,22-33). Es geht in ihr um den „anderen Traum“ des Menschen: wenn nicht in der Luft zu fliegen, so doch auf dem Wasser zu gehen. Walking on water – Herr der Elemente sein, glauben in himmlischer Leichtigkeit, den Chaoskräften in Natur und Geschichte enthoben.

Die Erzählung bei Matthäus wird oft überschrieben mit „Der sinkende Petrus auf dem Meer“. Was für fromme Miesepeterei! Petrus ist ausgestiegen. Hinaus aus dem Boot. Wenn auch nur kurz, nur ein paar Schritte. Aber er ist gegangen. Dort, wo er nasse Füße bekam, hätten andere längst kalte Füße gehabt. „Petrus auf dem Wasser“ ist die Geschichte eines Dilemmas, sie erzählt von einer unmöglichen Möglichkeit: Wie können wir Christus auf dem Wasser begegnen, wenn wir einen felsenfesten Glauben haben? „Der Felsenmann auf dem Wasser“ – die Geschichte handelt von einem Menschen, der etwas riskiert, sich exponiert, nach außen tritt. Von einem Menschen, der sich von Christus rufen lässt, in „Ver-Antwortung“ tritt, der untergeht und doch gegangen ist – und am Ende durch Christus heil im Boot mit den anderen sitzt.

Nur Matthäus erzählt die Geschichte von Jesu Gang auf dem Wasser mit dieser persönlichen Begegnung. Bei Markus wird die Geschichte wie eine Offenbarung Gottes im Alten Testament geschildert, wenn es heißt: „und [er] wollte an ihnen vorübergehen“ (Mk 5,48). Die erschreckten, unverständigen Jünger bleiben wegen des Messias-Geheimnisses alle im Boot. Auch bei Johannes steigt niemand aus. Er steigert vielmehr den mirakulösen Charakter: Das Boot war „fünfundzwanzig oder dreißig Stadien“ weit draußen, am Ende ist es „sogleich“ an Land (Joh 6,19.21). Matthäus dagegen gestaltet das Wunder zu einer persönlichen Begegnung, bringt Petrus ins Spiel. Was mit seiner besonderen Rolle im Weiteren zusammenhängt (Mt 16,13ff.). Die Jünger, die im Boot waren, sprechen hier am Ende bereits aus, was Petrus später dann wiederholen wird: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“ (14,20)

In der Geschichte geht es so – nachösterlich gelesen – darum, wie ein Mensch dem Auferstandenen begegnet und befähigt wird, in „Ver-Antwortung“ zu treten, Führung zu übernehmen. Die Situation am Anfang spiegelt anschaulich das Gefühl der Gemeinde nach Ostern wider, das auch kirchlich Engagierten heute vertraut sein dürfte: Das Volk ist gegangen, die wenigen Jünger mühen sich im Boot ab, von Jesus ist herzlich wenig zu sehen oder zu spüren. Geradezu antitypisch skizziert Matthäus die beiden Situationen: Jesus „alleine“, „für sich“, „auf einem Berg“, „um zu beten“ (V.23); die Jünger im Boot „weit vom Land“, „in Not durch die Wellen“, „der Wind ihnen entgegen“ (V.24). Hier ora, dort labora. Erst in der letzten, der vierten Nachtwache kurz vor dem Morgengrauen kommt es dann zu der Christus-Begegnung. Der Zeitpunkt ist wichtig, weil Christus zu den Jüngern – zu denen, „die da sitzen in Finsternis […] und im Schatten des Todes“ (Mt 4,16) – wie die Sonne kommt. Die Morgenstunde ist ein Hinweis darauf, dass es hier um den Auferstandenen geht. Darauf verweisen auch die Reaktionen der Jünger: Sie halten ihn für ein Gespenst, schreien vor Furcht, müssen von dem Erscheinenden getröstet werden (V.26f.). Wendungen, wie sie sonst in den Ostergeschichten begegnen. In dieser Situation – die Jünger, von allem Volk und von Christus verlassen, allein im Boot, im Kampf mit den Chaosmächten gegen den drohenden Untergang – kommt es dann zum „walk on the water“. Dazu, dass einer von ihnen den klammernden Griff an die Scheinsicherheit des Bootes löst, sich rufen lässt und den Schritt hinaus ins Weite wagt.

Am Ende wird Petrus wieder im Boot mit den anderen sein. Nass, gescheitert, gerettet. Doch das Boot wird dann ein anderes sein. Weil der Auferstandene jetzt mit im Boot ist und der Wind sich gelegt hat. Doch wohlgemerkt: Sie steigen gemeinsam in das Boot, der nasse Petrus und der rettende Christus (V.32). Die Begegnung mit dem Auferstandenen findet draußen statt – jenseits der Bootsplanken, außerhalb der Mauern der Kirche. Paradox gesprochen, hat die Gemeinde ihre Mitte immer außen. Sie begegnet dem auferstandenen Christus auf den Wellen der Welt. Auch wenn sie selber dabei immer wieder zu versinken droht. Auch wenn ihr Glaube immer riskant bleibt, niemals sicher fixierbar. Sitzenbleiben wäre keine Alternative. Anders ist Christus nicht zu haben. Glauben heißt, aus dieser trotzigen Hoffnung zu leben: Am Ende aller Stürme, Nächte und Chaosmächte wird das Meer einmal daliegen – ruhig, strahlend, wunderschön – und im Glanz eines neuen Himmels leuchten. Nur im Vertrauen auf dieses Wunder und in dem Mut, sich selbst nasse Füße zu holen, können wir Kirche leiten.

Petrus-Dilemma

Weiter so im Boot hocken bleiben,
wäre der Tod im Topf.
Doch es ist nicht leicht,
für felsenfest Glaubende
auf dem Wasser zu gehen.
Es gelingt nur,
wenn uns Christus begegnet
im Licht der aufgehenden Sonne
im Wind eines verwehenden Schweigens. (TL)

 


Theologische Impulse (91) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

Bild: Engin Akyurt auf www.pixabay.com

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Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher/

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  • 15.5.2021