„Unsere Kirche ist schuldig geworden, weil in ihr Täter geschützt wurden“

Radiogottesdienst zum Thema „Sexualisierte Gewalt und Kirche“

Düsseldorf/Kaarst. Die Evangelische Kirche im Rheinland gestaltet am Sonntag, 27. Oktober 2019, einen Radiogottesdienst auf WDR 5. Er hat das Thema: „Ich aber vertraue auf Dich, Gott – Sexualisierte Gewalt und Kirche“ und wird um 10 Uhr aus der Lukaskirche in Kaarst übertragen. Vizepräses Christoph Pistorius, zugleich Leiter der Personalabteilung im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland, und Ille Ochs, Autorin, Theologin und Therapeutin, werden dabei eine Dialogpredigt über Psalm 55 halten. Das ist ein altes Klage-Gebet in der Bibel, das manche in der heutigen Wissenschaft einer vergewaltigten Frau zuschreiben.

Nach dem Gottesdienst sind die Telefone der Ansprechstelle besetzt

Nach dem Gottesdienst können Hörerinnen und Hörer die unabhängig arbeitende Ansprechstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung unter den Telefonnummern 0211 3610-300 und -312 erreichen. Die Telefone sind am Sonntag bis gegen 13 Uhr sowie am Montag besetzt. Am Hörer sitzen Claudia Paul, Sozialpädagogin und Leiterin der Ansprechstelle, sowie der Theologe und Psychologe Edwin Jabs. Er leitet die Evangelische Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung in Düsseldorf und begleitet Betroffene als Seelsorger. Mehr über die Arbeit von Claudia Paul finden Sie hier, über die Arbeit von Edwin Jabs hier. Hörerinnen und Hörer können sich auch per Email an die Ansprechstelle wenden: Claudia.Paul@ekir.de.

Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche im Rheinland

Bestandteil des Radiogottesdienstes ist ein Schuldbekenntnis der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche, das Vizepräses Christoph Pistorius spricht. Das Schuldbekenntnis hat folgenden Wortlaut:

Ewiger Gott, vor Dir bekennen wir unsere schwere Schuld. Als Kirche und als Einzelne.

Mein Name ist Christoph Pistorius.

Ich stehe hier als Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ich bin Mitglied der Kirchenleitung und leite in der Landeskirche die Abteilung Personal, die für alle Pfarrerinnen und Pfarrer unserer Kirche zuständig ist. Seit vielen Jahren habe ich mit dem Thema sexualisierte Gewalt oder Missbrauch zu tun.

Unter dem Dach der Kirche haben Menschen die Würde anderer missachtet und verletzt. Unter dem Dach der Kirche haben Menschen ihren Mitmenschen Gewalt angetan, sie missbraucht und in vielen Fällen so deren weiteres Leben bleibend zerstört.

Unsere Kirche ist schuldig geworden, weil in ihr Täter geschützt wurden. In Gemeinden ist weggeschaut worden, weil das Ansehen des Amtsträgers hoch war. In der Kirche sind Opfer von sexualisierter Gewalt nicht gehört worden. In den Gemeinden und Einrichtungen unserer Kirche sind Kinder und Jugendliche nicht geschützt worden. Das ist unverzeihlich.

Ich kenne auch die andere Seite. Ich kann erzählen von Tätern, die die Folgen zu tragen hatten, nicht nur strafrechtlich, sondern auch ihren Dienst in der Kirche betreffend, wo die Institution schnell und konsequent gehandelt hat. Ich kann erzählen von Opfern, denen zu ihrem Recht verholfen wurde und die Unterstützung von vielen Menschen in der Kirche erfahren haben.

Für die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland ist es eindeutig:

Täter dürfen auf keinen Fall durch ihr Amt in der Kirche vor Strafe und Konsequenzen geschützt werden. Täter dürfen nicht durch die persönliche Bekanntschaft mit Verantwortlichen geschützt werden. Opfer nehmen wir ernst. Betroffenen hören wir zu. Gegen das Wegschauen gehen wir vor. Verharmlosung und Unwissen müssen wir vorbeugen.

Ewiger Gott, vor Dir bekennen wir unsere schwere Schuld:

Unsere Worte kommen an ihre Grenzen, wo wir versagen.

Unsere Worte kommen an ihre Grenzen, wenn wir schuldig werden an unseren Nächsten und an Dir.

Heile Du, Gott.

Rheinische Kirche hat in Verdachtsfällen ein zweigleisiges Verfahren

Die Evangelische Kirche im Rheinland hat im Jahr 2003 ein für alle kirchlichen Organe verbindliches zweigleisiges Verfahren für den Umgang mit Verdachtsfällen auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung eingeführt. Es regelt einerseits die Beratung und Hilfe für Opfer und gibt andererseits klare Anweisungen für die konsequente strafrechtliche und disziplinarische Verfolgung von Taten. Beide Säulen sind unabhängig voneinander.

Ansprechstelle für Betroffene

Für die Beratung und weitere Hilfen können sich Betroffene an eine unabhängig arbeitende Ansprechstelle (ekir.de/ansprechstelle) wenden. Mitteilungen von Betroffenen werden streng vertraulich behandelt. Über das weitere, vor allem auch strafrechtliche Vorgehen entscheiden die Betroffenen. Ausgenommen sind Angaben, die den Verdacht einer Straftat gegen Kinder und Jugendliche begründen. Hier wird grundsätzlich Anzeige erstattet.

Strafrechtliche Verfolgung

Werden Pfarrerinnen und Pfarrer beschuldigt, prüft die im Landeskirchenamt zuständige juristische Person, ob ein kirchliches Disziplinarverfahren eingeleitet wird und ob Strafanzeige gestellt werden kann. Von einer Anschuldigung Betroffene werden für die Dauer des Verfahrens suspendiert. Wird ein staatliches Strafverfahren eingestellt, endet damit nicht zwangsläufig das Disziplinarverfahren, da die rheinische Kirche auch Vergehen nachgeht, die zwar strafrechtlich nicht relevant sind, aber mit dem Pfarrdienst nicht vereinbar sind.

Bei einem Verdacht gegen privatrechtlich Angestellte haben die Vorgesetzten (Presbyterium, Kreissynodalvorstand) die erforderlichen Schritte bei staatlichen und kommunalen Stellen (Staatsanwaltschaft, Jugendamt u. a.) einzuleiten. Sie werden dabei vom Landeskirchenamt unterstützt.

Der beste Schutz ist präventiv

Da bei einem Verdacht auf Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ein schnelles, konsequentes und planvolles Handeln erforderlich ist, haben Kirchengemeinden Schutzkonzepte aufgelegt, die neben dem Vorgehen in einem Verdachtsfall besonders präventive Maßnahmen vorsehen.

Weitere Informationen zum Umgang der Evangelischen Kirche im Rheinland mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung finden Sie hier. Warum Schutzkonzepte in der Evangelischen Kirche im Rheinland einen zentralen Stellenwert haben, erläutert Kirchenrat Jürgen Sohn in einem Interview, das Sie hier lesen können.

  • 24.10.2019
  • Wolfgang Beiderwieden