Von Glanz und Schönheit der Hebammen – und der subversiven Liebe Gottes

Wie wichtig und wertvoll Hebammen sind, habe ich in den Zeiten erlebt, als unsere drei Kinder zur Welt kamen. Da gab es weise, lebenskompetente Frauen, die meine Frau berieten, begleiteten, für sie da waren, ihr im wahrsten Sinne den Rücken stärkten – anders, als andere Menschen das konnten. Ein Segen in einer der wohl sensibelsten und anspruchsvollsten Zeiten im Leben. Umso problematischer, dass vor allem versicherungstechnische Regelungen die Arbeit von Hebammen in unserer Gesellschaft immer weiter belastet haben. An manchen Orten in Deutschland herrscht „Hebammenmangel“ und kommt es zu Versorgungsengpässen bei der Geburt.

In der Bibel wird von vielen Berufen erzählt: Hirten, Händlerinnen und Handwerkern, Königinnen und Prophetinnen, Seeleuten und Soldaten. Doch kein Beruf erfährt solch eine Wertschätzung wie der der Hebammen.

Zwei mutige Hebammen waren es, die auch am Anfang der Geschichte des Volkes Israel standen. Geburtshelferinnen des Volkes Gottes, noch bevor Gott es aus Ägypten herausführte. Schifra und Pua. Die Bedeutung ihrer Namen ist nicht sicher, wahrscheinlich „Schönheit“ und „Glanz“. Schönheit und Glanz widersetzen sich dem Befehl des Pharaos, der die männlichen Neugeborenen der hebräischen Frauen töten lassen wollte. Sie handeln subversiv – aus der Liebe Gottes heraus. Die Haltung eines religiös motivierten Widerstands, wie sie für viele Menschen beispielhaft werden sollte: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg 5,29) Und beeindruckend ist, wie sie das tun. Als der Pharao sie vor sich zitiert und zur Rede stellt, verweisen sie klug auf die Stärke der hebräischen Mütter: „Sie sind kräftige Frauen. Ehe die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie geboren.“ (2. Mose 1,19)

Schönheit und Glanz schützen die Frauen so nicht nur vor der Gewalt, sie betonen zugleich ihre Stärke. Sie lassen die Frau selbst in deren eigener Schönheit glänzen – und durchbrechen so in doppelter Weise ihren Opferstatus. Wegen dieser subversiven Liebe, welche „die Gewaltigen vom Thron“ stößt und „die Niedrigen“ erhebt (Luk 1,52), segnet Gott die Hebammen: „Darum tat Gott den Hebammen Gutes.“ (2. Mose 1,20)

Hebammen sind es, die als Erste in der Bibel den Satz sprechen, den wir später als Heilszusage aus dem Mund von Prophetinnen, Priestern und Engeln kennen: „Fürchte dich nicht …“. So sagen es die „Wehmütter“ den Gebärenden zu, wenn das Neugeborene zur Welt kommt. Etwa zu Rahel, als sie ihren Sohn Benjamin gebiert – und zugleich darüber verstirbt (1. Mose 35,17; vgl. 1. Sam 4,20). Ein Zuspruch unter Frauen, mitunter der letzte Trost der Härte des eigenen Todes zum Trotz. „Fürchte dich nicht, denn dir ist ein Kind geboren.“ Der Verkündigungsengel spricht an Weihnachten genau diesen „Hebammen-Satz“, den jene damals den gerade geboren habenden Müttern zuflüsterten.

Gott selbst wird in Psalmen mehrfach in der Weise einer Hebamme beschrieben. Ein Gefühl tiefster Verbundenheit, der Lebensbegleitung vom ersten Augenblick an. Etwa:

„Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen,

du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter.

Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an,

du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an.“ (Ps 22,10f.; vgl. 71,6)

Gott erschafft den Menschen, kennt ihn schon vor seiner Geburt, hilft ihm wie eine Hebamme ins Leben, begleitet hindurch und auch darüber hinaus.

Hebammenkunst (griech. Mäeutik). Seit Sokrates gilt sie zugleich als Sinnbild für eine dialogische Gesprächshaltung. Durch Nachfragen wird das verborgene Wissen des Gegenübers geweckt und ihm bzw. ihr so zur Erkenntnis verholfen. In den platonischen Dialogen kann das mitunter recht gekünstelt wirken – vor allem, wenn die eine Person vermeintlich schon Bescheid weiß und ihr Wissen nur verbirgt (die sog. sokratische Ironie). Unsere Kinder haben für solches „Pädagogengemache“ in jedem Fall einen feinen Sensor. Etwas anderes ist es, wenn eben auch die „Hebamme“ Teil des Prozesses ist und trotz all ihrer Erfahrung auch nicht vorher weiß, was entsteht. Geburten sind immer wieder neu ein Wunder. So zumindest verstehe ich persönlich eine geistliche Hebammenhaltung: Nicht wir bringen Gott zu den Menschen, sondern wir entdecken – in Christus – Gott mit und bei den Menschen: „Er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“ (Apg 17,27f.) So wie Jesus Christus selbst überrascht war vom Glauben des römischen Hauptmanns oder der kanaanäischen Frau und von der Frömmigkeit des Samariters erzählte.

Geistliche Hebammenkunst – das heißt für mich, aus subversiver Liebe Mächtigen zu widerstehen, Unterdrückten den Rücken zu stärken, Schönheit und Glanz derer zu entfalten, die mir anvertraut sind, und mich immer wieder von Gottes Gegenwart überraschen zu lassen. So ist geistliche Hebammenkunst eine Form der Nachfolge Christi.

 

Als die Welt in Wehen lag

Als die Welt in Wehen lag

und die Hebammen fehlten,

mussten Hirten einspringen,

schweigsame Gesellen,

die sich besser mit Lämmern auskannten.

Und ein Engel flüsterte der Welt ins Ohr,

was diese sonst der Mutter sagen:

Fürchtet euch nicht.

Ihr habt ein Kind.“ (TL)

 

Christus als Hebamme

Er fragte:

Was willst du, dass ich dir tue?“

Er tat,

was andere wundersam heilte.

Er sagte:

Dein Glaube hat dir geholfen.“

Er half

in ein neues Leben aus dem Tod.

Wer aber sagt ihr, dass ich sei?“ (TL)

 


Theologische Impulse (103) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

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  • 11.9.2021