„The Shape of Water“ und die mystische Seite Gottes

Ein Ort besonderer theologischer Erkenntnis ist für mich der Kinosaal. Weil wir hier gemeinsam Geschichten lauschen: Erzählungen vom Finden, Verlieren, Versuchen, Versagen, vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böse und von unserem eigenen Leben irgendwo da mitten drin. Die Kinos sind die Lagerfeuer unserer Zeit, auch wenn sie in der Corona-Zeit oft erloschen waren. Mitten in der Dunkelheit flackern Bilder, wie die Welt sein könnte.

Einer der religiös interessantesten Filme, die mich persönlich in der letzten Zeit beschäftigt haben, ist „The Shape of Water“ vom Regisseuer Guillermo del Toro (2017), der im Folgejahr gleich vier Oscars erhielt. Wer den religiösen Grundkonflikt in den USA, aber nicht nur dort, begreifen will, wird in dem Film fündig. In ihm wird ein Liebesmärchen erzählt, im Retro-Stil, Anfang der 60er Jahre. Elisa Esposito, eine sensible, stumme Reinigungskraft, verliebt sich in einer geheimen Forschungseinrichtung des US-amerikanischen Raumfahrtprogramms in ein gefangenes, magisches Wesen aus dem Amazonas und rettet es gemeinsamen mit ihren Freund-/innen vor dem sicheren Tod. Das Böse in der Geschichte hat die Gestalt eines weißen Protestanten: Richard Strickland, ein skrupelloser Befehlshaber. Strickland ist ein sogenannter religiöser „Suprematist“, ein tief überzeugter Anhänger von der Überlegenheit des weißen, amerikanischen Mannes als Krone der Schöpfung. Ob Behinderte, Frauen, Afroamerikaner, Russen, Chinesen – sie alle sind minderwertig in seinen Augen. Erst recht dieses fremde Wesen. Und wie in vielen Filmen so ist auch hier das Böse geschwätzig. Strickland verbreitet seine Glaubenssicht an alle, die es hören wollen oder nicht: „Das Geschöpf ist nicht wie wir ähnlich dem Herrn. Wir sind dem Herrn ähnlich, ich eher als Sie.“ Jesus als weißer US-Amerikaner. Seine gnadenlose Herrschafts- und Leistungsreligion wendet sich gegen alles Fremde und am Ende in Akten fortschreitender Selbstzerstörung gegen sich selbst. Exemplarisch dafür die Geschichte vom Tod Simsons, die er als Leitbild für sein eigenes Handeln erzählt: lieber sterben als zu versagen. Sein Glaube fußt auf einer Identität durch Abgrenzung und auf der Verdinglichung alles anderen. Das einzige, was für ihn zählt, ist die Anerkennung durch seinen General und sein petrolfarbener Cadillac.

 

Als Gegenbild dazu die Religiosität Elisas, eine sensible, fragile, fließende Spiritualität, die sich in vielen kleinen „Ritualen des Alltags“ ausdrückt: den Frühstückseiern beim Kochen zusehen, morgens in der Badewanne masturbieren, die sorgfältig ausgewählten Schuhe putzen, dem Lauf der Regentropfen an der Busscheibe zuschauen. Überhaupt hat das Wasser eine mystische, quasi religiöse Bedeutung im Film: Alles ist irgendwie im Fluss. Sie reinigt die männlich dominierte Forscherwelt von Blut, Urin, Schmutz, es regnet immer wieder, am Ende durchdringt Wasser den Kino-Saal, der unterhalb ihrer Wohnung liegt. Das Wasser als Ursprung (arche) von allem, Thales von Milet lässt grüßen.

Elisa steht so exemplarisch für die Religion der „Misfits“, ein anderes religiöses Selbstverständnis Amerikas, wie es auf der Inschrift der Freiheitsstatue beschrieben ist: „Give me your tired, your poor / Your huddled masses yearning to breathe free / The wretched refuse of your teeming shore“ (Emma Lazarus) Ihre Kollegin Zelda, eine Person of Color, die Elisa immer wieder solidarisch schützt, ihr unglücklich verliebter, homosexueller Nachbar Giles, mit dem sie sich alte Musicals ansieht, der jüdische Wissenschaftler Dr. Hoffstetler, der sich als russischer Spion Dimitri entpuppt: Sie alle praktizieren in den entscheidenden Momenten eine grenzüberschreitende Menschlichkeit und Feindesliebe.

 

Und dann natürlich das fremde Wesen. Im Film wird immer wieder die Frage gestellt, wie es eigentlich richtig bezeichnet werden kann: als Ding, Tier, Nicht-Mensch, Gottheit? Eine Form des Messias-Geheimnisses. Es stammt aus dem Amazonasgebiet, steht für die Faszination fremdreligiöser Einflüsse. In seinem Schicksal gewinnt es geradezu christushafte Züge: Es durchleidet eine Passion, besitzt wundersam heilende Kräfte. Bezeichnend, was Elisa von ihm sagt: In der Begegnung mit ihm komme sie sich nicht mehr defizitär vor, er sehe sie so, wie sie sei. Und wenn sie ihm nicht helfe, was immer er auch sei, sei sie selbst kein Mensch mehr. Eine Liebeserklärung fast wie von Maria Magdalena in Jesus Christ Superstar (I don’t know how to love him). Am Ende des Films – Achtung: Spoiler-Alarm! – werden Elisa und er sterben und auferstehen. Eine eigene Interpretation von Kreuz und Auferstehung. Hier als eine Verbindung von Selbstheilung und Verwandlung. Bis hin zu Richard Strickland, der am Ende in Abwandlung der Worte des römischen Hauptmanns unterm Kreuz sprechen wird: „Fuck. You are a god.“

 

Der Film führt eindrücklich die religiöse Problemgeschichte des Protestantismus vor Augen, des US-amerikanischen, aber nicht nur des dortigen. Ein religiöses Denken aus den „kirchlich glänzenden“ 50er und 60er Jahren, das zum Teil bis heute nachwirkt und mit Selbstüberhebung, Schöpfungs- und Fremdenfeindlichkeit einhergeht.

Dem gegenüber steht eine religiös mystische Haltung, wie sie dem Film zu Grunde liegt. Sie wird ganz am Ende mit dem Zitat eines religiös konnotierten Liebesgedichts noch einmal expliziert:

„Unable to perceive the shape of you,
I find you all around me.
Your presence fills my eyes with your love.
It humbles my heart,
for your are everywhere.“

Das geliebte Gegenüber, respektive Gott, dessen Form und Gestalt so unfassbar sind wie das fließende Wasser, wird von dem poetischen Ich überall gefunden. Es erfüllt seine ganze Existenz, seine Augen und Wahrnehmungsorgane mit Liebe, lässt das Herz als Zentrum der eigenen Person demütig werden – angesichts der schieren Allgegenwart Gottes. Die Herkunft des Zitats bleibt im Film bewusst offen. Manche haben sufistische Mystiker vermutet. Belegen lässt es sich nirgends. Auch die vagen Hinweise des Regisseurs Del Toro deuten eher daraufhin, dass es sich um eine freie Adaption handelt. In jedem Fall spiegelt es einen anderen, mystischen Zugang zu Gott wider, eine religiöse Haltung, die mit menschlicher Demut, Empathie für andere Geschöpfe und liebevoller Sensibilität einhergeht. Ein Zugang, in dem Ich-, Du- und All-Erfahrung ineinanderfließen, eben wie in Liebesgedichten. Dies ist zugleich eine Form, Gott zu begegnen, die auch eine andere Begegnung zwischen verschiedenen Religionen eröffnet. Die Unklarheit der Herkunft des Zitats ist insofern vielleicht nicht zufällig.

 

Der Film wird gerahmt von der Frage des Erzählers, wie er die Geschichte von Elisa und dem Wesen erzählen solle: „If I spoke about it, what would I tell you?“ Von der Liebe wie von der Begegnung mit Gott lässt sich wohl vielleicht am angemessensten in Form von Metaphern, Märchen und Mythen erzählen. Weil es Sprachformen sind, in denen die Grenzen des Sagbaren immer mit kommuniziert werden. Es ist zugleich die Frage an uns als Christinnen und Christen, wie wir heute sowohl personal als auch mystisch von Gott als einem unabschließbaren Prozess der Liebe (Trinität) sprechen, so dass menschliche Demut, Empathie mit allen Geschöpfen und liebevolle Sensibilität gefördert werden. Von der Erzählung des Kinos lässt sich dafür vieles lernen.

 


Theologische Impulse (97) von Dr. Thorsten Latzel, Präses

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Die Theologischen Impulse gehen mit dieser Ausgabe in die Sommerferien. Ich freue mich, Sie nach den Ferien wieder zu einem neuen Impuls hier begrüßen zu dürfen.

  • 26.6.2021