„Es gab einen großen Unterschied zwischen den Missionaren und den Kolonialherren“

Der tansanische Theologe Fidon Mwombeki spricht sich für einen differenzierteren Blick auf die Geschichte von Mission und Kolonialismus aus. Im Interview mit der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) sagt der frühere VEM-Generalsekretär: „Es gab einen großen Unterschied zwischen den Missionaren und den Kolonialherren.“ Missionare hätten viel Zeit, Energie und Geld investiert, um die Kulturen und die Sprachen der Menschen vor Ort zu verstehen, „weil sie eine Leidenschaft für diese Menschen in ihrem Herzen trugen“.

Das Interview mit Mwombeki erscheint anlässlich der Fortsetzung der dreiteiligen Tagungsreihe „Die langen Linien der Geschichte“ am Samstag, 30. April. Sie befasst sich mit der Fragestellung, wie der Kolonialismus das heutige Leben prägt und welche Herausforderungen sich daraus ergeben. Nach einer grundsätzlichen Annäherung an das Thema im Februar geben Vertreterinnen und Vertreter von Partnerkirchen aus Afrika und Asien in der zweiten digitalen Tagung Impulse zu den Spuren des Kolonialismus, seiner öffentlichen Wahrnehmung und seinen Auswirkungen auf die Kirche von heute. Die Konferenzsprache ist Englisch. Weitere Informationen zur Tagungsreihe und zur Anmeldung gibt es im Veranstaltungsflyer.

Gräber der Missionare bis heute respektiert

Selbst zum Ende der Kolonialzeit und nach der Unabhängigkeit seien Missionare immer wieder eingeladen worden und würden das auch weiterhin, so Mwombeki in dem Interview, „denn sie sind willkommen und sie hatten niemals eine materielle Mission“. Die Kolonialherren hätten indes das Land verlassen „und wir haben sie niemals eingeladen, wieder zurückzukommen“. Auch die Gräber der Missionare seien bis heute aus Dankbarkeit respektiert. „Das Grab von jemandem, der dich unterdrückt hat, respektierst du nicht, du willst es nicht einmal mehr sehen.“

An vielen Orten keine koloniale Unterstützung

Mwombeki, bis 2015 auch Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und seit 2018 Generalsekretär der Allafrikanischen Kirchenkonferenz (AACC) mit Sitz in Nairobi (Kenia), bestätigt zwar, dass der Kolonialismus den Missionaren in bestimmten Fragen auch hilfreich war. Andererseits seien Missionare aber an viele Orte gegangen, an denen es überhaupt keine koloniale Unterstützung gab, „und es gab so viele Missionare aus Ländern, die nie eine Kolonie besaßen“. Auch die Weitergabe des Evangeliums nach Europa sei nicht kolonial erfolgt. Daher sei es nicht fair, heute Missionstätigkeiten und Kolonialismus in einem Atemzug zu nennen.

Kritik an „Superkolonisatoren“ und ihrem Einfluss bis heute

Der promovierte Theologe plädiert zudem dafür, kulturelle Veränderungen durch Mission oder Kolonialismus nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Als Beispiele nennt er das Ende des Kannibalismus und auch geschlechterspezifische Gewalt, „deren Anwendung wir nicht ,als Teil einer Kultur‘ betrachten und damit rechtfertigen sollten“. Kritisch äußert Mwombeki sich dagegen zur anhaltenden Dominanz der „Superkolonisatoren“ in ihren früheren Kolonien. Das gelte vor allem für den Einfluss Frankreichs in den frankophonen Ländern Afrikas. Daran sehe man, „dass diese kolonialen Verhältnisse immer noch da sind“, auch in den Kirchen. Die Kehrseite sei, dass die Kirchen des Nordens gegenüber ihren Partnern im globalen Süden sehr zurückhaltend und vorsichtig seien, weil sie Angst hätten, als Imperialisten oder Kolonialisten bezeichnet zu werden. „Das ist keine ehrliche Kommunikation, sondern eine Kommunikation der Angst.“ Mwombeki wird zum Abschluss der Tagungsreihe im Juni auch einen Impulsvortrag zum Thema „Die Herausforderungen des Postkolonialismus“ halten.

  • 26.4.2022
  • Ekkehard Rüger, Martina Pauly
  • Christoph Wand/VEM