Sprachtreff als Integrationstreiber

Der Spracherwerb ist einer der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration. Mit dem Projekt „Sprachtreff“ hat die rheinische Landeskirche dabei eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Mitarbeitenden Barbara Zägel und Fadi Alnaamat wissen um die Besonderheiten und Stärken des Projekts, über das nun eine Videodokumentation erschienen ist.

Im August 2018 fiel in St. Wendel der Startschuss des Projekts „Sprachtreff – für Integration auf dem Land“. Die Idee dahinter: Geflüchtete sollen beim Spracherwerb unterstützt werden, um ihnen die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dafür wurden fünf Pilotstandorte in Daaden (Rheinland-Pfalz), Hohenahr-Erda (Hessen), Wülfrath (Nordrhein-Westfalen) sowie Marpingen und St. Wendel (beide Saarland) von der rheinischen Kirche mit Technik, Medien und Mobiliar ausgerüstet.

Berufsbezogener Sprachunterricht mit Memory

Barbara Zägel

Vor Ort sind Ehrenamtliche im Einsatz, deren Arbeit von „Standortleitern“ koordiniert wird. Im Saarland betreuen Barbara Zägel (Marpingen) und Fadi Alnaamat (St. Wendel) derzeit elf Freiwillige. Sie bringen die Hilfebedürftigen mit den Ehrenamtlichen zusammen, besorgen Materialien und erarbeiten „Unterrichtspläne“. Viele der Geflüchteten würden ihren in der Heimat gelernten Beruf auch hier ausüben wollen. „Deshalb unterstützen wir sie bei Problemen und lernen mit ihnen berufsbezogen Deutsch“, erläutert Alnaamat. Dazu werden etwa Bücher oder Memorys genutzt. In Zeiten von Corona müssen allerdings zahlreiche Aktionen und Lerneinheiten ausfallen. Kreativität ist gefragt. „Wo es erlaubt und möglich war, fand vieles im kleinen Kreis statt.“ Ein Tandem habe sich beispielsweise kurzerhand zum Spazieren verabredet, um Deutsch zu lernen.

Alnaamats besondere Beziehung zum Sprachtreff

Fadi Alnaamat

Zägel sieht in Alnaamat ein Vorbild für die Teilnehmenden. „Er ist einer von Ihnen, das spornt sie an.“ Seine Beziehung zum Sprachtreff ist ohnehin eine besondere. 2015 kam der studierte Englischlehrer aus Syrien nach Deutschland und lernte selbst auf diese Art und Weise die deutsche Sprache. Weil er hierzulande nicht als Englischlehrer arbeiten darf, leitete er unter anderem ehrenamtlich Sprachkurse an Schulen. „Schließlich erhielt ich die Genehmigung, als Integrationslehrer zu arbeiten, landete bei der Diakonie Saar und dann beim Sprachtreff“, erzählt Alnaamat. Möglich war all das, weil der 33-jährige nach seiner Ankunft in St. Wendel ein großes ehrenamtliches Netzwerk vorfand. „Als 2015 so viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, hat unsere Kirchengemeinde schnell die Initiative ergriffen“, blickt Zägel zurück.

Syrer übernimmt saarländischen Dialekt seines Unterstützers

Einen Einblick in die Arbeit an den Pilotstandorten bietet eine kürzlich erschienene  Videodokumentation. Zu Wort kommen Verantwortliche und Mitarbeitende. Es werden Erfolgsgeschichten gezeigt – wie die eines Syrers, der seine Ausbildung abgeschlossen und sogar den saarländischen Dialekt seines Unterstützers übernommen hat. Die Gründe dafür liegen für Zägel und Alnaamat auf der Hand. Anders als bei staatlichen Deutschkursen könne individueller und berufsbezogener unterrichtet werden. Das motiviere die Teilnehmenden, weil es sie ihrem Ziel näherbringt. Der Fokus auf ländliche Regionen helfe ebenfalls. „Hier trifft man sich beispielsweise beim Einkaufen“, sagt Zägel. Hinzu kämen Kooperationen mit Sport- und Kulturvereinen. „All das führt zu einer engeren Beziehung und fördert die Integration“, weiß die 55-jährige Presbyterin.

Projekt soll auch ohne Förderung weiter Früchte tragen

Die beiden hoffen, bald wieder richtig loslegen zu können. Die Voraussetzungen dafür hat das Projekt, dessen zweijährige EU-Förderung im September 2020 planmäßig ausgelaufen ist, geschaffen. „Es wurde extra so angelegt, dass während des Förderzeitraums gute Grundlagen für eine längerfristige Weiterarbeit gelegt werden“, erklärt Helga Schwarze, Leiterin der Büchereifachstelle. Dazu zähle die Ausstattung, aber auch die Schulung von Ehrenamtlichen als Sprach- und Lesepaten. Sollte sich dennoch ein weiterer Förderbedarf zeigen, könne dieser gegebenenfalls durch die Büchereifachstelle beziehungsweise Erwachsenenbildung oder passende Fördertöpfe gedeckt werden. Kirchengemeinden könnten zudem bei der Stiftung für Migrationsarbeit der rheinischen Kirche Mittel beantragen.

Für den Sprachunterricht werden berufsbezogene Bücher oder Spiele genutzt.

„Die Kirche ist für uns ein zu Hause geworden“

„Das Projekt hat den Bedarf solcher Angebote verdeutlicht“, zieht Schwarze ein erstes Fazit. Deshalb sei sie optimistisch, „dass sich die Investitionen langfristig lohnen“. Alnaamat und Zägel jedenfalls sind motiviert. Sie wollen, so gut es geht, weitermachen. Das ist laut Alnaamat zwingend notwendig, sonst sei alles umsonst gewesen. „Wir sind mit vielen so weit gekommen und wollen jetzt noch über die Ziellinie gehen, sie fit für ihren Beruf machen.“ Das Projekt ist für ihn aber auch aus einem anderen Grund wertvoll: „Die Kirche ist für mich und die anderen Geflüchteten nicht mehr nur ein Gebäude, sondern zu einer Art zu Hause geworden.“ Deshalb sieht Zägel in solchen Projekten generell eine Chance für die Kirche. „Man wird als Kirche von der Gesellschaft ganz anders wahrgenommen.“ Es gehe darum, ganz nach Dietrich Bonhoeffer, Kirche für andere zu sein. „Das ist unser christlicher Auftrag.“

In Zeiten von Corona trafen sich die Ehrenamtlichen und Teilnehmenden häufig im Freien – wie hier in St. Wendel.

  • 26.1.2021
  • Andreas Attinger
  • Helga Schwarze, Jo Hembel, Privat