Sitzungen sind keine artgerechte Haltung – Plädoyer für bewegtes kirchliches Denken

Als unsere Kinder kleiner waren, fragten sie mich einmal: „Papa, was macht ihr eigentlich in so einer ‚Sitzung‘: Sitzt ihr da wirklich die ganze Zeit nur herum?“ Eine kluge Frage, die mir in Erinnerung blieb. Gott schuf uns Menschen ja als Hüpf-, Spring-, Tanz- und Laufwesen. Da ist es schon nicht selbstverständlich, wenn erwachsene Menschen täglich stundenlang sitzen und sitzen und sitzen. Interessanterweise sprechen wir gerade bei Gremien, Ausschüssen, Synoden oft von „Sitzungen“, nicht bloß von Beratungen oder Gesprächen. Zumindest der Begriff erinnert an unsere leibhafte, physische Existenz – daran, was wir mit unseren Körpern machen (oder eben auch nicht machen), während wir miteinander beraten, sprechen, diskutieren.

Die orthopädische Problematik ist natürlich lange und hinreichend bekannt. Ist das Stichwort „Rückenschmerzen“ einmal gefallen, braucht man sich um den weiteren Gesprächsverlauf in der Pause keine Sorgen mehr zu machen. Das kollektive Kopf- und Schulter-Kreisen als Sitzungsauflockerung ist eine nette gymnastische Übung, hat aber letztlich doch eher homöopathischen Charakter. In manchen Organisationen wird schon zu „Stehungen“ eingeladen. Das verändert die Gesprächskultur – und verkürzt vor allem die Gesprächsdauer. Eine wirkliche Lösung stellt kollektives Stehen aber kaum dar.

Geistlich aufschlussreich ist, welche innere Haltung sich mit dem Sitzen verbindet. Sitzen kann helfen, sich zu konzentrieren, bei einander und „bei der Sache“ zu bleiben. Es kann aber eben auch ein statisches, unbewegliches Denken befördern. Nicht umsonst passiert Wesentliches gerade in den Sitzungspausen. Und vor allem gibt es eine Nähe von Sitzen und sich Sorgen. „Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt es Gott im Schlaf.“ (Ps 127,2) Mentaler „stuck state“, ein Fest-Sitzen in Kopf, Herz, Geist.

Dass Jesus Zeit seines Lebens gewandert ist, permanent unterwegs war, ist wohl nicht nur ein äußerlicher Umstand. Es hat wohl auch sein Reden und Denken von Gott beweglich gemacht. Eine „theologia viatorum“, eine Theologie der Reisenden. Als Kirchenmenschen sprechen wir ja gerne vom „wandernden Gottesvolk“, davon, dass Kirche in ständiger Veränderung sein müsse (semper reformanda) – um dann die nächste Sitzung abzuhalten. Vielleicht würde es unsere Überlegungen verändern, wenn wir uns tatsächlich zu mehr „Gehungen“, „Wandlungen“ verabreden würden. Am besten in Gottes schöner Schöpfung. Wiesengrün und Himmelsblau helfen gegen Gedankengrau (zumindest manchmal). „Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Weg […]?“ (Luk 24,32) Natürlich muss man dann wieder einkehren – wenn es Abend wird und der Tag sich geneigt hat. Um gemeinsam das Mahl zu halten – oder gegebenenfalls das „Protokoll“ der Wandlung zu notieren. Doch vorher ist es gut, sich auf den Weg zu machen. Nicht nur metaphorisch.

Daher mein persönliches Ziel: Ich möchte versuchen, gemeinsam mit anderen weniger Sitzungen und mehr Wandlungen abzuhalten – und mich dafür selbst auf den Weg machen, immer wieder. Und vielleicht lassen sich zusammen – „by the way“ – dabei noch ein paar Kirchenbänke nach draußen befördern. Das schafft drinnen Raum zum Wandeln und lädt draußen zum Einkehren ein.

Wandlung

Als wir losgingen,
wussten wir nicht:
wohin, wie lang, was es bringt.
Doch Du, Gott,
hast uns geführt.
Bist mit uns gegangen.
Unerkannt.
Hast uns verwandelt.
Unversehens, unterwegs.
So wie Dich selbst,
wunder- wie wandelbarer Gott.


Theologische Impulse (119) von Präses Dr. Thorsten Latzel

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  • 13.8.2022