13. Januar 2021 von Manfred Rekowski
In der langen Reihe von Debattenbeiträgen zum Thema „Assistierter Suizid“ haben sich am 11. Januar einige Theologinnen und Theologen mit einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zu Wort gemeldet. Sie fordern auch im Hinblick auf kirchliche und diakonische Einrichtungen, die „Zugänglichkeit eines assistierten, professionellen (…) Suizids zu ermöglichen.“ Sie plädieren dafür, „entsprechende Möglichkeiten durch besonders qualifizierte interdisziplinäre Teams in den Einrichtungen zuzulassen und dabei das familiäre Umfeld einzubeziehen.“ Damit reagieren sie auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar des vergangenen Jahres, in dem die vom Gesetzgeber 2015 beschlossene Fassung des Paragraphen 217 mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe für nichtig erklärt wird. Die Autorinnen und Autoren des Artikels nehmen die Intention des Urteils des Bundesverfassungsgerichts auf: „Alle berechtigten Einwände (…) kommen an dem Sachverhalt nicht vorbei, dass die Selbstbestimmung auch im Sterben gelten muss.“ Ihrer Ansicht nach hat die höchstpersönliche Entscheidung am Lebensende Vorrang.
Die Evangelische Kirche im Rheinland hat sich im Jahr 2013 intensiv mit der Frage der seelsorglichen Begleitung im Zusammenhang mit Suizid beschäftigt. Daraus ist die Handreichung „Niemand nimmt sich gern das Leben“ entstanden. Dort wird für die Kirche festgehalten, dass es nicht ihre Aufgabe ist, „moralisch zu bewerten, sondern dazu beizutragen, die Möglichkeit zum Leben wieder bewusst zu machen und zu erweitern.“ Es kann also nicht darum gehen, den Suizidwunsch einfach zu verurteilen oder zu moralisieren.
In extremen Fällen, wenn auch die palliativmedizinischen Möglichkeiten einem Menschen nicht mehr als ausreichend hilfreich erscheinen und der Sterbewunsch als letzter Ausweg gesehen wird, stellt sich nicht die Frage, ob, sondern wie Kirche und Diakonie Menschen begleiten. Auch in der seelsorglichen Begleitung von Menschen in einer solchen existentiellen Notlage wird die Hoffnung auf Gottes bleibende Gegenwart wachgehalten.
Aber es gilt, den Blick zu weiten. Alles menschliche Leben ist ein Leben in Beziehung „Kein Mensch lebt für sich allein, Menschen sind aufeinander angewiesen.“ Leben geschieht und gestaltet sich in Gemeinschaft, in Verbundenheit mit anderen Menschen. Die Bedingungen für einen Suizidwunsch sind nicht nur bei dem einzelnen Menschen, sondern auch in seinen Lebenszusammenhängen zu suchen. Die Folgen eines Suizids treffen das ganze soziale Umfeld. Auch wenn Menschen über Selbstbestimmung verfügen, zeigt der Blick auf die Menschen, die von einem Suizid mitbetroffen sind, die Begrenzungen der Selbstbestimmung auf.
Getragen von der Haltung, Leben bis zuletzt zu unterstützen, weil Gottes Ja über jedem Leben steht, sollte Menschen, die eine Suizidabsicht äußern, mit Respekt und Sensibilität begegnet werden. Ziel kirchlich-diakonischer Arbeit ist das, worauf Pfarrerinnen und Pfarrer im Ordinationsversprechen verpflichtet werden: „Hilf den Menschen im Glauben dankbar zu leben und getröstet zu sterben. Gib keinen verloren. Tritt für alle ein, die deinen Beistand brauchen.“
Die Begleitung bis zum Lebensende schließt für den Seelsorgenden allerdings die Beschaffung oder Verabreichung eines Mittels zur Selbsttötung kategorisch aus. Die Zusammenarbeit mit Vereinigungen, die organisiert oder gewerbsmäßig eine Förderung der Selbsttötung betreiben („Sterbehilfevereine“), ist ebenfalls ausgeschlossen.
Viele Menschen beschäftigt das Thema assistierter Suizid – persönlich, oder weil sie in einer Pflegeeinrichtungen in der Trägerschaft von Kirche und Diakonie damit konfrontiert sind. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir zu diesen Fragen im Gespräch bleiben oder ins Gespräch kommen und aus vielen Blickwinkeln darüber diskutieren und, wo nötig, auch streiten. In diesem Sinne verstehe ich den Text in der FAZ als einen Beitrag dazu.
Foto: Diakonie-Hospiz Volksdorf, Im Zimmer eines Gastes | Diakonie-RWL