„Gewalt ist immer die schlechteste Lösung“

Jens Maßmann kommt mit Schülerinnen und Schüler über Krieg und Frieden, Gewalt und produktive Konfliktlösung ins Gespräch im eigenen Unterricht und als kirchlicher Friedensbildungsreferent bei Einsätzen in anderen Schulen. Der Pfarrer und Berufschullehrer aus Solingen hat dazu eine Fortbildung zur Friedenspädagogik des Pädagogisch-Theologischen Instituts (PTI) der Evangelischen Kirche im Rheinland und des Pädagogischen Instituts der Evangelischen Kirche von Westfalen absolviert.


Herr Maßmann, Sie hatten gerade einen Friedensbildungs-Einsatz an einer Schule. Was haben Sie dort gemacht?
Jens Maßmann: Die Schule hat eine Projektwoche zum Thema Frieden und ich habe mit einer kleinen Schülergruppe im Alter von 15, 16 Jahren gearbeitet. Wir haben zunächst über Gewalt gesprochen und was das eigentlich ist. Jeder hatte da verschiedene Einschätzungen. Wir haben mehrere Situationen anhand eines Gewaltbarometers eingeordnet und am Ende gemeinsam festgestellt: Gewalt ist immer dann im Spiel, wenn etwas gegen meinen Willen geschieht, wenn es Grenzen überschreitet und mich verletzt.

Wie können Schülerinnen und Schüler Konflikte gewaltfrei lösen?
Maßmann: Das fängt ganz einfach an: sich bewusst werden, was man überhaupt will, und das klar rüberbringen, aber auch zuhören und andere verstehen lernen. Diese Fähigkeiten müssen angeleitet und geübt werden. Und dass Gewalt nicht die beste, sondern immer die schlechteste Lösung ist, haben wir mit praktischen Übungen erarbeitet. Wir haben zum Beispiel eine Stuhlgasse gebildet, aufgebaut in V-Form. Am Ende war ein freier Platz. Rechts und links auf den Stühlen saßen Schüler mit Schaumstoffschlägern, die den Weg zum freien Platz verteidigt haben. Einige andere Schüler, die zunächst nach draußen geschickt wurden, mussten dann einzeln wieder eintreten und zu dem freien Platz gelangen. Ein paar sind einfach mitten durch die Gasse gelaufen und haben Prügel in Kauf genommen, die meisten sind aber außen herum zum freien Stuhl gegangen. Das war ein großer Aha-Effekt: Es ist möglich, Wege jenseits der Gewalt zu finden.

Also gab es gar nicht so viel Lernbedarf?
Maßmann: Ich war positiv überrascht, wie viel Potenzial schon vorhanden war. Das habe ich auch bei einer anderen Übung erlebt, bei der es um Möglichkeiten zur persönlichen Deeskalation ging. Da hat einer geschrieben: Ich backe Brot. Das kling ganz banal, aber für diesen Schüler ist es ein Weg, seine inneren Aggressionen abzubauen. Das fand ich schön und Mut machend zu sehen: Es gibt immer auch noch andere Wege und es muss nicht das sein, was für mich naheliegend ist.

Welche Rolle spielt das Thema Krieg im Moment für junge Menschen?
Maßmann: Bei meinem Einsatz haben wir jetzt nicht darüber gesprochen, aber bei meinen älteren Schülerinnen und Schüler in der Berufsschule ist das immer wieder ein Thema. Durch den Ukrainekrieg gibt es viele Ängste, zum einen die Angst vor der Veränderung der eigenen Lebensumstände – sich durch die Teuerung bestimmte Sachen nicht mehr leisten zu können. Zum anderen aber auch davor, dass sich die Situation so zuspitzt, dass Deutschland sich in den Krieg einmischt. Besonders die Jungen machen sich Sorgen, was dann passieren würde: Wird vielleicht die Wehrpflicht geändert? Was würde das für mich bedeuten?

Warum ist es wichtig, dass Friedensbildung an Schulen angeboten wird?
Maßmann: Die Schulen erkennen mehr und mehr, wie komplex die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ist. Auch in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen höre ich heraus, dass die Bereitschaft wächst, jenseits des fachlichen Wissens etwas anzubieten, was die Lebenskompetenz der jungen Leute stärkt. Es gibt Angebote von Sozialpädagogen, Gewaltpräventionstraining oder eben das Angebot zur Friedensbildung der evangelischen Kirche. Das sind wichtige Skills, die den Jugendlichen dort vermittelt werden. Und ich selbst merke, dass die Schülerinnen und Schüler richtig Lust dazu haben – weil es etwas mit ihrem Leben zu tun hat.

Was haben Sie bei der Fortbildung zum Friedensbildungsreferenten gelernt?
Maßmann: Es gab viel Theorie zum Thema Frieden und Sicherheitskonzepte. Aber was mich wirklich abgeholt hat, war das ganze Instrumentarium an praktischen Elementen und Übungen, die helfen, Dinge erfahrbar zu machen. Das ist gerade für meine Arbeit mit Schülerinnen und Schülern wichtig. Politische High-Level-Abwägungen kommen da nicht so gut an wie das konkrete Erleben.

Was haben Sie für sich persönlich mitgenommen?
Maßmann: Was mich besonders angesprochen hat, ist der Gedanke, Wege jenseits der Gewalt zu finden. Und dafür auch bekannte Denkmuster zu verlassen: Auf A muss nicht immer B folgen, bei den beiden Wegen Krieg und Frieden gibt es eben oft noch etwas dazwischen. Frieden braucht viel Fantasie, Kreativität, Mut und Einsatz. Das habe ich besonders in der Beschäftigung mit Biografien erkannt. Martin Luther King oder Mahatma Gandhi – da haben Menschen es einfach gewagt, außerhalb der Box zu denken und auch zu handeln. Frieden klingt immer so abstrakt, aber diese Beispiele zeigen: Ich kann Frieden mit meinem Leben füllen und ausgestalten. Und das gehört für mich zu dem Friedensauftrag, den wir als Christenmenschen haben.

  • 30.5.2023
  • Christina Schramm
  • Red