An Rhein und Ruhr rücken Protestanten und Katholiken enger zusammen

Der Wunsch zu einem engeren Miteinander und ähnliche wirtschaftliche Zwänge lassen die Ökumene an Rhein und Ruhr immer konkreter werden. Darüber haben in der Mülheimer Bistumsakademie „Die Wolfsburg“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung „Ökumenische Gemeinden – ein Zukunftsmodell?“ mit dem Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, und dem Leiter des Ressorts Kirchenentwicklung im Bistum Essen, Markus Potthoff, diskutiert.

Gemeinsame Angebote und gemeinsames Personal, vor allem aber auch gemeinsam genutzte Gebäude: Für eine noch stärkere und konkretere ökumenische Zusammenarbeit haben sich Vertreterinnen und Vertreter des katholischen Bistums Essen und der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) ausgesprochen. Im Reformationsjahr 2017 hatten Bistum und Landeskirche gemeinsam mit der Evangelischen Kirche von Westfalen den Aufruf „Ökumenisch Kirche sein“ veröffentlicht. Fünf Jahre später diskutierten hauptberufliche und ehrenamtliche Vertreterinnen und Vertreter aus Gemeinden und Kirchenverwaltungen nun in Mülheim bei der Tagung „Ökumenische Gemeinde – ein Zukunftsmodell?“ über den Stand der Entwicklungen.

Katholiken und Protestanten beten mancherorts in der gleichen Kirche

Gerade bei der gemeinsamen Gebäudenutzung hat sich seitdem einiges getan: In Essen-Vogelheim und in Oberhausen-Borbeck zum Beispiel feiern katholische Gemeinden ihre Messen nun regelmäßigen in evangelischen Gotteshäusern, und in Essen-Frintrop planen die katholische und die evangelische Gemeinde ein gemeinsames Gemeindezentrum. Ähnliche Projekte sind in vielen Orten im Gespräch – entsprechend groß war das Interesse an der Tagung in der Bistumsakademie „Die Wolfsburg“. „Wir brauchen jetzt den Mut, diese Projekte von der Bekenntnisebene weiterzuentwickeln und mit Leben zu füllen“, plädierte Markus Potthof, Leiter des Ressorts Kirchenentwicklung im Bistum Essen, für konkrete Schritte in der ökumenischen Zusammenarbeit. Und Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, warb dafür „weiter von den Orten her zu denken, aus den Gemeinden heraus“ und nicht auf einen „Masterplan von oben“ zu setzen. Unter Latzels Führung hatte sich die rheinische Kirchenleitung im vergangenen Jahr mit ihrem  für ökumenisch kooperative Gemeinden ausgesprochen, „die – bei Wahrung der jeweiligen konfessionellen Traditionen – konsequent gemeinsam als ein verbundener Träger agieren: von der Gebäudenutzung über gemeindliches Angebot, Öffentlichkeitsarbeit, Diakonie, Kitas, Unterricht bis hin zu ökumenisch wechselnden Gottesdiensten“. „Es wird uns verändern, wenn wir Gebäude gemeinsam nutzen und bei der Seelsorge oder beim Religionsunterricht zusammenarbeiten“, hob Präses Latzel hervor.

Präses Latzel warb dafür, Ökumene weiterhin aus den Gemeinden heraus zu denken.

Die Finanzen können ein Anlass, sollen aber nicht der Grund für Ökumene sein

Dass nach rund 50 Jahren der inhaltlichen ökumenischen Zusammenarbeit vieler Gemeinden – zum Beispiel durch gemeinsame Gottesdienste, ökumenische Sozialprojekte oder Kooperationen im Stadtteil – nun vor allem angesichts finanzieller Engpässe in beiden Kirchen auch Strukturfragen auf die Agenda kommen, leugnete keiner der Tagungs-Referenten. Latzel sagte aber: „Ich halte es für falsch, wenn man über ökumenische kooperative Gemeinden nur unter finanziellen Gesichtspunkten spricht.“ Potthoff betonte: „Die gemeinsame wirtschaftliche Not kann der Anlass sein, aber nicht die zentrale Motivation für eine neue Form der ökumenischen Zusammenarbeit.“ Neben Immobilienfragen gehe es aktuell zum Beispiel auch um Überlegungen, Kirchenmusikerinnen und –musiker künftig so anzustellen, dass diese sowohl in katholischen als auch in evangelischen Kirchen tätig sein könnten, erläuterte Potthoff.

Neben Zusammenarbeit in Immoblilienfragen, könne auch eine Koorperation in der Kirchenmusik möglich sein, sagt Markus Potthoff.

Es braucht die richtigen Partner vor Ort

Auf der Tagung wurde deutlich, dass es vor allem die richtigen Partnerinnen und Partner vor Ort braucht, um Ökumene-Projekte voranzutreiben „Fangen Sie nicht mit einem Plan an, sondern starten Sie mit einem gemeinsamen Abendessen“, warb der Rheinberger Pfarrer Martin Ahls für vertrauensbildende Maßnahmen, wenn sich katholische und evangelische Gemeinden auf einen gemeinsamen Weg machen. In Rheinberg-Orsoy plant Ahls‘ Pfarrei St. Peter, die denkmalgeschützte St. Nikolaus-Kirche als Wohngebäude zu verkaufen und gemeinsam mit der evangelischen Kirchengemeinde ein neues Gemeindezentrum zu bauen. Immer wieder stießen Christen bei derartigen Ökumene-Projekten jedoch auch auf juristische Hürden, kritisierte ein Teilnehmer der Tagung. Potthoff und Latzel versprachen, dass Bistum und Kirchenleitung in solchen Fällen helfen, nach möglichst flexiblen Lösungen zu suchen. So könne es bei der Gebäudenutzung verschiedene Formen geben, sagte Latzel: „zum Beispiel ein gemeinsames Haus oder einen gemeinsamen Trägerverein. Es geht darum, die vor Ort passende Lösung zu finden.“ Der Präses verwies aber auch darauf, dass an manchen Stellen „institutioneller Selbstbehalt und Machtfragen“ ökumenische Lösungen bremsten. „Da sollten wir weiterkommen.“

Ökumene „unter dem Radar“ der Amtskirche

Nicht wegzudiskutieren sind indes kirchenrechtliche Unterschiede, zum Beispiel mit Blick auf das Abendmahl. Dass katholische und evangelische Christinnen und Christen dies nach wie vor nicht gemeinsam feiern könnten, sei „ein Skandal“, sagte der Präses, der „Christus nicht zu vermitteln“ sei. Dabei würden viele evangelische Christen von den Katholiken „eine hohe Wertschätzung der Eucharistie lernen.“ Hubertus Schönemann, Leiter der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) in Erfurt kritisierte, es sei „unbefriedigend“, dass manche ökumenische Aktivität nur „unter dem Radar“ möglich sei. Potthoff entgegnete: „Wir müssen aus dieser Doppelbödigkeit heraus – aber so ganz schnell werden wir diese Spannung nicht aufheben können.“ Die Bereitschaft der katholischen Bischöfe, hier zu neuen Lösungen zu kommen, sei sehr unterschiedlich. Dennoch ermunterte er die Tagungs-Teilnehmerinnen und –Teilnehmer: „Seien wir mutig und gehen wir Schritte auf diesem Weg. Ich nehme da unseren Bischof Franz-Josef Overbeck ernst, der sagt: ,Das Leben läuft dem Recht voraus‘.“

Manche Christen interessieren konfessionelle Unterschiede überhaupt nicht

Schönemann betonte zudem in einem gemeinsamen Vortrag mit seiner evangelischen Kollegin Sandra Bils von der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung, dass vielen Menschen konfessionelle Unterschiede überhaupt nicht mehr präsent sind: „In der Pandemie haben wir gesehen, dass Menschen sich online zum Gottesdienst treffen, miteinander Brot und Wein teilen. Da sagt dann ein Bischof: Das ist keine Eucharistie, weil da kein Priester dabei ist – aber das ist vielen der Teilnehmenden egal“, so Schönemann. „Kirchennahe Menschen wissen die Klaviatur der vielen kirchlichen Angebote gut für sich zu nutzen“, sagte Pfarrerin Bils und verwies auf Menschen, die sich aus der ökumenischen Angebotsvielfalt ihr persönliches Sortiment zusammenstellen. „Und Kirchenferne erkennen oft gar nicht, wann sie eine Grenze überschreiten.“ Zudem seien gerade dort, wo sich neue Formen christlicher Gemeinschaften entwickelten, diese Aufbrüche oft dezidiert ökumenisch, ergänzt Pfarrerin Bils: „Viele Sehnsüchte sind in beiden Kirchen die gleichen.“

  • 3.5.2022
  • Thomas Rünker / Bistum Essen
  • Nicole Cronauge / Bistum Essen