Reformpädagoge Comenius: 350 Jahre nach Tod noch immer ein Vorbild

Der Universalgelehrte, Pfarrer und Reformpädagoge Johann Amos Comenius hat vor über 350 Jahren von toleranten Christen und einer gerechten Welt geträumt. Heute sind in ganz Deutschland Schulen nach ihm benannt. Darunter das Amos-Comenius-Gymnasium in Bonn, dessen Träger die rheinische Kirche ist.

„Meine Methode“, verkündete er, „zielt darauf ab, dass die Tretmühle Schule in Spiel und Vergnügen verwandelt wird.“ Der tschechische Reformpädagoge und Theologe Johann Amos Comenius (1592-1670) kam ohne Prügel aus und lehnte die damals übliche Schulzucht als „Geistesfolter“ ab. Sein Werk „Orbis sensualium pictus“ gilt heute als erstes Bilderbuch. In ihm standen deutsche und lateinische Wörter sowie Erläuterungen nebeneinander, auch Goethe lernte daraus.

Bemühen um bildungspolitische Chancengleichheit

Die moderne Erziehungswissenschaft verdankt Comenius das Bemühen um bildungspolitische Chancengleichheit, aber auch die Hochschätzung der eigenen Vernunft und den hohen Stellenwert der Anschauung im Unterricht: „Die Menschen müssen so viel wie möglich ihre Weisheit nicht aus Büchern schöpfen, sondern aus Himmel und Erde, aus Eichen und Buchen“, schrieb er. Comenius starb vor 350 Jahren, am 15. November 1670 in Amsterdam.

Ganz im Sinne seines Namensgebers legt das Amos-Comenius-Gymnasium in Bonn wert auf ein gutes Miteinander.

„Comenius ist brandaktuell und ein Vorbild“

Heute sind in Deutschland Straßen und Schulen nach ihm benannt, die Evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft in Münster heißt Comenius-Institut. In Bonn befindet sich das evangelische Amos-Comenius-Gymnasium in Trägerschaft der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Wir haben als Schule das große Glück, einen Namensgeber zu haben, der in der Pädagogik immer noch brandaktuell und für uns Vorbild ist“, sagt Schulleiter Christoph Weigeldt. Comenius habe sich eine lebensnahe, freundliche Schule und eine gewaltfreie Erziehung vorgestellt. „Kinder und Jugendliche sollten mit Gottes Hilfe zur Menschlichkeit erzogen werden, damit eine humanere Welt entstehen kann.“

Lebensnaher und wertegeleiteter Unterricht

Diese Maxime von Comenius spiegelt sich laut Schulleiter Weigeldt noch heute im Schulalltag des Gymnasiums wider. „Uns ist es wichtig, christliche Werte zu vermitteln und Wissen lebensnah und somit nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch weiterzugeben.“ Eine Wohlfühlatmosphäre, fächerübergreifender Unterricht und Projektarbeiten spielten hier eine zentrale Rolle. Dazu zählten etwa Arbeitsgemeinschaften wie die „Klimabotschafter“ zur Bewahrung der Schöpfung, Schulseelsorge und ein vierwöchiges Sozialpraktikum. „Mit all dem streben wir im Sinne von Comenius eine ganzheitliche Erziehung an, in der menschliche Reife und Wertschätzung mit intellektuellen Qualitäten vereint werden“, betont Weigeldt.

Artikel, Podcast und ein Gottesdienst zum Gedenken

Rund um den 350. Todestag von Comenius hat die Schule coronabedingt eher kleinere Feierlichkeiten geplant. „Auf unserer Homepage werden wir Artikel sowie einen Podcast zum Thema veröffentlichen“, berichtet Weigeldt. Zudem halten Schülerinnen und Schüler aus dem Jahrgang 6 am 17. November eine Morgenandacht zu Comenius. Einen Tag später wird mit einem Schulgottesdienst für den Jahrgang 9 dem Schulrektor und Pfarrer gedacht, der mehr sein wollte als ein pädagogischer Vordenker.

Dieses Mosaikbild von Amos Comenius haben Abiturienten des Jahrgangs 2020 mit ihrem Kunstlehrer Ian Umlauff gestaltet.

Comenius war leidenschaftlicher Kriegsgegner

Comenius gehörte zu den letzten Universalgelehrten. Mit mehr als 250 Schriften nahm er am Diskurs der Wissenschaft teil. Er erinnerte an die Verantwortung des Menschen für die Natur und verlangte ethische Grundsätze für die Forschung. Als leidenschaftlicher Kriegsgegner legte er konkrete Vorschläge für ein Weltfriedensgericht vor. Mitten im Zeitalter der Religionskriege vertrat er hartnäckig die Überzeugung, dass konfessionelle Streitigkeiten die christliche Botschaft um ihre Glaubwürdigkeit brächten – und dass es ein Wahnsinn sei, wegen vermeintlicher Glaubensinhalte einander die Köpfe einzuschlagen: „Was ist eine Religion in Waffen?“ Statt Bruderkriege zu führen, stehe es den Christen gut an, tolerant und liebevoll miteinander umzugehen, „damit wir nicht denjenigen, den wir nicht in allem bessern können, gleich verleumden, verketzern, verurteilen, aus der Kirche ausweisen, sondern als Schwachen im Glauben aufnehmen, im Wissen, dass jeder seinem Herrn steht und fällt.“

Früher Tod der Eltern

Die Eltern des 1592 in einem mährischen Dorf geborenen Jan Komensky – später nannte er sich als guter Humanist auf Lateinisch Comenius – gehörten zur Gemeinde der bibelfesten, aber toleranten Böhmischen Brüder. Seine Kindheit endete früh, als die Eltern kurz nacheinander starben und eine marodierende Soldateska das Dorf niederbrannte. Mit Unterstützung der Brüdergemeinde studierte er dennoch in Heidelberg und Herborn Theologie und Philosophie.

Haus geplündert, Bücher verbrannt

Doch der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) ließ ihn nicht aus den Klauen: Komenskys Haus wurde geplündert, seine Bücher verbrannt. Er floh ins böhmisch-polnische Grenzland – das Ganze wiederholte sich: Söldnertruppen zerstörten sein Domizil, seine Bibliothek, die Manuskripte für den Tschechischen Sprachschatz, an dem er 44 Jahre lang gearbeitet hatte.

Plädoyer für individuelle Förderung jedes Kindes

Zweimal wurde er Witwer, die katholische Liga verfolgte den ökumenisch gesinnten Protestanten per Haftbefehl – und er schrieb Bücher, tapfere und traurige: Über das Verwaistsein und das Labyrinth der Welt. Außerdem verfasste er ein Bibelverzeichnis, eine Gesamtdarstellung der Physik und Standardwerke zur Schulreform. Comenius plädierte für behutsame Hilfe bei der Entfaltung der natürlichen Anlagen, für die individuelle Förderung jedes Kindes und ein Schulsystem, das keinen ausschließen dürfe.

„Gebt der Religion Freiheit“

Zum leitenden Bischof der Brüdergemeinde gewählt, forderte er eine vernünftige Einigung unter den verfeindeten protestantischen Fraktionen, aber auch eine humane internationale Politik unter Verzicht auf Eroberungsgelüste und Hochrüstung: „Gebt der Religion Freiheit, gewährt Zugang zu Staatsverwaltung und Gerichten, rüstet ab, senkt die Steuern, verbilligt den Lebensunterhalt, mehrt Schulen aller Art, und dann zweifelt nicht daran, dass das goldene Zeitalter der Erde zurückkommen wird.“

300 Jahre nach seinem Tod tut sich etwas

Das Organisationstalent Comenius entwarf detaillierte Pläne für einen internationalen Friedensgerichtshof, der Konflikte auf friedlichem Weg lösen und die Rechtsprechung in den einzelnen Ländern überwachen sollte. Die Kirchen hätten bei einer solchen Entwicklung mit gutem Beispiel voranzugehen: Comenius wünschte sich ein ökumenisches Konzil unter Beteiligung von Philosophen und Politikern. Als sich 1948 der Ökumenische Rat der Kirchen konstituierte und in Rom das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) die Christen aller Bekenntnisse zur Zusammenarbeit im Interesse einer friedlichen, gerechten Welt ermunterte, da war der Vordenker aus Böhmen schon fast drei Jahrhunderte tot.

  • 10.11.2020
  • epd, Andreas Attinger
  • Ian Umlauff, Kilian Kirchgessner, Nils Klatte