Forschen für mehr Chancen - Interviews mit Geflüchteten

„Man muss den Menschen erstmal eine Chance geben, sich hier zu beweisen“, dieses Resümee zieht Maren Helder (25) nach ihrem Forschungspraktikum im Flüchtlingsreferat des Kirchenkreises An der Ruhr. Als Masterstudentin im Studiengang „Migration und Globalisierung “ an der Universität Duisburg-Essen hat die Styrumerin für ein empirisches Forschungsprojekt sechs Wochen in der Flüchtlingsberatung auf dem Mülheimer Kirchenhügel mitgearbeitet. Ziel war es, herauszufinden, wie sich das seit Januar geltende Chancen-Aufenthalts-Recht auf das Leben von hier geduldeten Geflüchteten auswirkt.

Das neue Gesetz ermöglicht langjährig Geduldeten einen Aufenthaltstitel für 18 Monate, währenddessen haben sie Zeit, fehlende Sprach- und Identitätsnachweise zu erbringen und ihren Lebensunterhalt zu sichern. Wer die nötigen Nachweise erbringt, kann anschließend eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis bekommen. Sechs strukturierte Interviews führte die Politikwissenschaftlerin im Rahmen ihres Praktikums dazu mit Klientinnen und Klienten des Flüchtlingsreferats. Die Interviews sind nun verschriftlicht und werden in einer 15-20 seiteigen Forschungsarbeit ausgewertet.

Und, bietet das neue Gesetz tatsächlich eine Chance? „Ja, auf jeden Fall“, ist sich Maren Helder sicher. „Die Geflüchteten müssen nun nicht mehr jede Woche mit einer Abschiebung rechnen – was zuvor mit einer Duldung jederzeit möglich war. Ein Befragter hat durch den gesicherten Status nun die Möglichkeit, nach Guinea zu fliegen, um dort einen Pass zu besorgen. Das hätte allein mit einer Duldung nicht funktioniert.“ Die in den Interviews befragten Klientinnen und Klienten des Mülheimer Flüchtlingsreferates haben ihr Verfahren nach dem Chancen-Aufenthalts-Recht noch nicht alle abgeschlossen, einige warten noch darauf, dass ihr Antrag beschieden wird. „Aber ich bin bei den meisten wirklich optimistisch“, sagt Maren Helder. „Das sind Menschen, die haben sich hier ein gefestigtes Leben aufgebaut, sie wollen sich einbringen, haben einen Freundeskreis und teilweise schon Jobs oder einen Ausbildungsplatz, zum Beispiel als Krankenschwester.“ ,Die Duldung fühlt sich an wie ein Gefängnis‘, habe ein Befragter gesagt. Und ein anderer: ,Ich möchte Deutschland dienen.‘

Bei allem Engagement: Zum Selbstläufer wird der Weg zum dauerhaften Aufenthalt durch das neue Gesetz noch nicht. „Jeder der Klienten hat seine Baustellen, die er in den 18 Monaten bewältigen muss“, weiß die forschende Studentin. Die Interviews konnte Maren Helder zumeist auf Deutsch führen, weil die Geflüchteten sich die Sprache schon gut angeeignet hatten. „Viele haben das geforderte Sprachniveau schon fast erreicht – aber oft keinen Platz in einem Sprachkurs bekommen, weil das mit einer bloßen Duldung nicht so einfach funktioniert“. Sprachkenntnisse müssen für den dauerhaften Aufenthalt aber nachgewiesen werden. Ein Klient versucht es jetzt im Selbststudium mit Hilfe von YouTube.

Von den Anstrengungen der Befragten ist Maren Helder auf jeden Fall beeindruckt. „Und diese Integrationsbemühungen müssen hier Anerkennung finden.“ Bloß weil jemand seine Identität nicht nachweisen kann, hieße das nicht, dass er sie verheimliche. „Wer in Afghanistan auf dem Land lebt, braucht meist sein Leben lang keinen Reisepass.“ Und anderenorts macht sich verdächtig, wer einen solchen beantragt. Angesichts der geführten Interviews sagt Maren Helder: „Da nervt es mich, in den Medien immer wieder von ,Einwanderung in die Sozialsysteme‘ zu hören. Die Gespräche haben mir gezeigt: Die Menschen wollen sich einbringen und ihren Lebensunterhalt selbstständig verdienen.“

Im Rahmen ihres Praktikums begleitetet Maren Helder auch weitere Beratungen im Flüchtlingsreferat des Kirchenkreises. „Ich habe Gespräche miterlebt, die wirklich noch nachhallen“, blickt die 25-Jährige auf ihre Praktikumszeit zurück. Sie erinnert sich zum Beispiel an die Fluchtgeschichte eines Minderjährigen, der mit einem jüngeren Bruder zu Fuß die Türkei durchquerte und weite Teile der Balkanroute zu Fuß zurücklegte. Unterwegs gerieten die Jungen in Haft, wurden geschlagen, die Verletzungen wirken noch nach. „Und die zwei stehen für viele weitere. Das sind keine Einzelfälle.“

Die wissenschaftliche Auswertung der Mülheimer Befragung steht noch aus – und vielleicht bleibt die Forscherin noch etwas am Ball, die Masterarbeit hat sie schließlich noch vor sich. „Im Themenfeld Flüchtlingsberatung gibt noch viele Fragen, zu denen geforscht werden kann und gerade das Chancen-Aufenthaltsrecht ist noch brandneu“. Die betreuende Dozentin hat Maren Helder sehr dazu ermutigt und auch die Praktikumsbetreuer *innen im Flüchtlingsreferat freuen sich über die Begleitforschung und erwarten gespannt die Ergebnisse.

  • 8.6.2023
  • Annika Lante
  • Red