„Es sind gerade unsere Militärs, die zu größter Zurückhaltung mahnen“

Petra Reitz, Leitende Militärdekanin des Evangelischen Militärdekanats Köln, spricht im Interview über Wertschätzung für die Bundeswehr, Relevanz der Militärseelsorge und Gewaltausübung ohne Furor.
 

Petra Reitz ist Leitende Militärdekanin des Evangelischen Militärdekanats Köln.

Frau Reitz, der Ukrainekrieg hat auch den Blick auf die Bundeswehr radikal verändert. Aus Sicht einer Militärseelsorgerin: War das überfällig?
Petra Reitz:
Ja. Denn die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verstehen sich als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform, also als Teil unserer Gesellschaft. Es standen noch viele verletzende und ausgrenzende Äußerungen aus den Diskussionen während der 1980er-Jahre im Kontext des Nato-Nachrüstungsbeschlusses im Raum. Doch die Sicht auf unsere Soldatinnen und Soldaten hat sich schon während der Flutkatastrophenhilfe an der Ahr und in der Eifel verändert, als sie mit als Erste vor Ort waren. Und auch während der Aktion „Helfende Hände“ in der Pandemiehilfe haben sie wohltuende Wertschätzung erfahren. Immerhin war es der Diakonie-Präsident Ulrich Lilie selbst, der nach dem Einsatz der Bundeswehr gerufen hat.

Zugleich erscheint ein möglicher Bündnisfall als reale Gefahr. Spüren Sie das auch in Ihrer Arbeit?
Reitz:
Wie in der Gesellschaft auch wird diese Möglichkeit unter unseren Soldatinnen und Soldaten täglich diskutiert. Ob in der Truppenküche oder im Offizierscasino – ich höre kein anderes Thema. Und die Frage, in welcher Weise man selbst gefordert sein wird, treibt im Moment jede und jeden um.

Muss die evangelische Kirche ihre Haltung zum Militär überdenken?
Reitz:
Die evangelische Kirche hat vor dem Hintergrund der Ukrainekrise den Spannungsbogen zwischen Radikalpazifismus und Verantwortungsethik neu aufgespannt. Ich erlebe die Diskussion erheblich polyphoner als noch vor Jahren. Daraus ergibt sich zwangsläufig ein sensiblerer Umgang mit Menschen in Uniform. Und das sollte der Kirche angelegen sein, nicht irgendeine wie auch immer definierte Haltung zum Militär.

Welche Relevanz hat Kirche überhaupt noch innerhalb der Bundeswehr?
Reitz:
Institutionen haben es momentan überall schwer, so auch die Kirche. Was Relevanz in der Bundeswehr hat, ist die Seelsorge. Und Seelsorge ist mehr als Lebensberatung. In der Seelsorge schwingen immer die letzten Fragen mit und sie verhält sich auch zur Schuldfrage. In den Auslandseinsätzen und am sogenannten scharfen Ende des Dienstes eines Soldaten, also bei Verwundung oder Tod, sind diese Fragen unausweichlich. Ich erlebe die Soldatinnen und Soldaten immer dankbar für die Begleitung durch unsere Militärseelsorgerinnen und -seelsorger. In unserem Arbeitsfeld wird aber noch einmal mehr spürbar, dass nicht das Amt die Person trägt, sondern die Person das Amt. Ist der oder die Militärgeistliche gut und im Dienst glaubwürdig, kann man auch mal über Kirche reden.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Spannungsfeld zwischen christlicher Friedensbotschaft und militärischer Denkweise um?
Reitz:
Mit Artikel V der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 gehe ich davon aus, dass wir in einer noch nicht erlösten Welt leben, in der der Staat die Aufgabe hat, auch unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Dies sagt übrigens auch die Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ der EKD von 2007. Wird dann die Ausübung von Gewalt unausweichlich, muss dies mit Maß und ohne Furor geschehen. Ich erlebe unsere Bundeswehr bei der Ausbildung und im Dienst als auch auf dem diplomatischen Parkett genau so: bedächtig und ohne Furor. Es sind gerade unsere Militärs, die zu größter Zurückhaltung mahnen. Wenn es das ist, was Sie mit „militärischem Denken“ meinen, dann kann ich mit diesem militärischen Denken gut leben. Denn wir müssen ja gerade täglich sehen, dass es auch anderes militärisches Denken gibt.

Wo sehen Sie Herausforderungen für die Militärseelsorge angesichts der vom Bundeskanzler ausgerufenen Zeitenwende?
Reitz:
Ach, die Zeitenwenden. Davon gibt es in unserer atemlosen Kultur viele. Und ruft die tatsächlich der Bundeskanzler aus? Wäre mir neu. Die Militärseelsorge war in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, im Sudan, in Afghanistan, in Mali und auf den Weltmeeren schon dabei, als dies für die öffentliche Wahrnehmung in unserer Gesellschaft alles noch weit weg war. Ich glaube, es ist eher eine persönliche Wahrnehmungswende, die der eine oder die andere gerade erlebt. Wir sehen uns jedenfalls wie immer an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten.

Können Sie noch zuversichtlich bleiben?
Reitz:
Aber natürlich! Ich habe in meinem persönlichen Leben einmal eine gesundheitliche Krise durchleiden müssen, in der mir als glaubender Christin zeitweilig der Tod als lebenswerte Alternative erschien. Ich dachte damals vor der x-ten Operation: „Ist doch egal, auf welcher Seite ich aufwache – hier oder da: Immer ist da Christus!“

 

Das Interview ist der Juniausgabe des Magazins EKiR.info für Presbyterinnen und Presbyter entnommen. Die komplette Ausgabe findet sich zum Download hier.

  • 3.6.2022
  • Ekkehard Rüger
  • ekir.de , Militärdekanat Köln