Online-Gemeinde trifft sich offline

3. Barcamp Kirche Online

Am Anfang steht die Verabredung über Themen: Barcamp Kirche Online 2016.

Wien, München, Hamburg – manche haben eine weite Anreise in Kauf genommen, um sich auszutauschen, neue Ideen mitzunehmen oder andere an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. »Barcamp ist maximale Demokratie«, sagt Wolfgang Loest, Pfarrer und Social-Media-Beauftragter der Lippischen Landeskirche. Und für ihn ist diese maximale Demokratie auch ein Fortsetzungsroman. Beim Barcamp Kirche Online 2015 hatte er ein WhatsApp-Projekt des Bistums Essen kennengelernt, daraufhin im Advent 2015 einen Snapchat-Adventskalender mit Jugendlichen realisiert. Und nun, beim Barcamp Kirche Online 2016, konnte er wiederum seine Erfahrungen weitergeben. Und auch das Barcamp 2016, das wieder von den drei Landeskirchen aus Rheinland, Westfalen und Lippe gemeinsam organisiert und gestaltet wurde, hat das Potenzial Kreise zu ziehen.

Ein Barcamp beginnt mit Vorschlägen – von den Teilnehmenden selbst. Manche schlagen ein Thema vor, weil sie darüber etwas erfahren möchten. Manche schlagen ein Thema vor, weil sie darüber etwas weitergeben können. Auf der Tagesordnung landen so nur Themen, die die Anwesenden auch wirklich interessieren. Und dann heißt es: zusammen den Stundenplan erstellen, das so genannte Grid. Jede Session dauert eine Stunde, Räume und Zeiten werden verteilt. . Auch dies geschieht demokratisch. Es wird solange hin- und her geschoben, bis es passt und niemand mehr Einwände erhebt. Los geht’s! Am Ende steht ein bunter Strauß an Themen an der Pinnwand in der Melanchthon Akademie.

Ein neues Online-Spenden-Tool der KD-Bank. 360-Grad Video-Projekte. Geistliches Leben und Online-Gemeinde. Hatespeech auf Facebook begegnen. Reformation und Religion auf die Re:Publica, die große jährliche Onlinekonferenz in Berlin, tragen. Videodreh leicht gemacht für Gemeinden. WordPress als komfortables Blogging-Tool. Ein kritischer Blick auf die Social Media Arbeit in Gemeinden. Storify als Möglichkeit, Social-Media-Beiträge zu einem Thema zusammenzubinden und zu verdichten. 

„Es gibt kein Tricksen“, berichtet der Bochumer Journalist Kai Rüsberg über seine Arbeit mit einer 360-Grad-Kamera. Als Reporter kann er sich nicht mehr aus dem Bild stehlen: Pfuschzettelgucken kommt mit ins Bild. Storytelling klappt also authentisch gut, so seine Erfahrung. Nach dem One-Shot-Prinzip – also ohne spätere Zwischenschnitte – wandert er durch einen Schiffsmotor, um dessen Reinigung zu schildern. Und ist überzeugt: Für User ist es spannend, virtuell mitzukommen und sich im Motorraum umzuschauen. Mit Wischen auch nach eigenem Gusto. Rüsberg: „Die Ideen sind manigfaltig“, mögliche Verwendungen ließen sich noch entdecken. 

„Snapchat eigent sich wie kaum ein anderes Tool, Stories zu erzählen“, sagt Wolfgang Loest, der mit Jugendlichen das Adventskalenderprojekt realisiert hat. Du kannst doch etwas vorproduzieren, lautet eine kollegiale Nachfrage. „Ja, aber man sieht es“, erklärt der Theologe. Und es ist das Gegenteil von Snapchat – der Dienst lebt von Authentizität und Schnelligkeit. Fotos und Videos sollten also lieber „verwackelt aber echt sein“.

Neun Jugendliche waren beteiligt, im Alter zwischen neun und zwölf Jahren, erzählt Loest. Es gab ein Treffen und dann einige wenige Absprachen: Wer welchen Tag übernimmt. Jemand möchte etwas mit Backen machen – wer am Tag davor oder danach dran, lässt die Finger von Milch, Mehl und Eiern. Die Verantwortung hat er den Jugendlichen übergeben, sagt Loest, und „sie haben sie wahrgenommen“. Daraus macht der Theologe rundheraus einen Appell in die Session: „Bremst nicht zu viel!“

Ihm bleibt das Staunen über „völlig andere Kommunikationsformen“, die er durch die Jugendlichen kennengelernt habe. Zum Beispiel: „Sie sprechen viel mehr in Bildern.“ Icon mit Munch-Schrei heißt: Mir geht es gerade nicht so gut.

Ein anderes Beispiel ist ein für den Geschmack des 34-Jährigen viel zu langes Stück über Nägellackieren mit Schnee- und Weihnachtsmotiven. „Ich dachte: Wer soll das bloß gucken?!“ Die Statistik belehrte ihn eines besseren: Nur fünf Prozent haben diese Snap-Story nicht komplett angesehen. Warum? Vielleicht weil Liebe und Akribie der Macherinnen spürbar sind. Und klar, weil Nägellackieren beliebt ist.

Noch einmal Storytelling – aber unabhängig von einer App oder einem Tool: Wie können wir Geschichten erzählen, was können Geschichten leisten, worauf muss man beim Geschichtenerzählen achten, fragte der rheinische Pfarrer und Onliner Jan Ehlert, der das Blog zum Theologiestudium „meine.ekir.de“ betreut und dort genau das Geschichtenerzählen fördern möchte. Wann ist eine Geschichte eine Geschichte?

Wenn sie ein happy end hat, oder ein weniger schönes, meint einer. Eine anderer: „Eine Figur hat ein Problem, und wir erfahren, was die Figur unternimmt, um das Problem zu lösen.“ Und eine Theologiestudentin, frisch zurück aus einem Studienjahr in Israel, sagt: Gute Resonanzen hat sie bekommen, wenn sie über Schwieriges geschrieben hat.

Ernste Töne

Aber es geht nicht nur um schöne, bunte Bilder. Auch die dunklen Seiten der online-Arbeit finden ihren Platz. In einer gut besuchten Session geht es um Hatespeech – Hasskommentare und Drohungen im Netz und wie Seitenbetreiber und Redakteure damit umgehen können.

Schnell wird klar: Patentrezepte gibt es nicht. Wohl aber pragmatische Umgangsweisen. Höflich und sachlich bleiben, vorsichtig sein mit Ironie, zuhören, nicht provozieren lassen. Offen sein für Diskussionen – was nicht heißt, dass man sich alles gefallen lassen muss.

Dazu passt die Session zu den Social Media Guidelines der gastgebenden Landeskirchen. Stimmen sie noch, müssen sie an neue Entwicklungen angepasst werden? Nein, große Änderungen wird es nicht geben. Aber auch für Modifikationen an Details ist die 60-minütige Session nicht lang genug. Eine Weiterarbeit wird verabredet, selbstverständlich online.

Fast genauso wichtig wie die eigentlichen Sessions ist das „dazwischen“ – Kaffeetrinken, Kontakte knüpfen und vertiefende Gespräche führen in den Pausen. Bei strahlendem Sonnenschein auch gerne mal draußen im Garten der Melanchthon Akademie.

Geistlicher Ausklang

Auch wer nicht dabei sein kann, konnte und kann das Barcamp unter dem Hashtag #bckirche verfolgen. Twittern während der Sessions ist ausdrücklich erwünscht. So kann sich live in Echtzeit schon während der Tagung ein Austausch über das Barcamp hinaus ergeben.

Das Barcamp Kirche Online wird gemeinsam von den Landeskirchen in Rheinland, Westfalen und Lippe organisiert. Gastgeberin und Kooperationspartnerin war in diesem Jahr die Melanchthon-Akademie Köln. Die Teilnahme war für alle kostenlos. Möglich gemacht wurde dies durch die Sponsoren KIGST, KD-Bank, ideenpool, Gute Botschafter, Edition Ruprecht, #ekiclouds und Freifunk Köln, Bonn und Umgebung.

  • 28.9.2016
  • EKiR.de
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